Wider den tierischen Ernst in der Politik

Berlin. Der Komiker Hape Kerkeling ist gerade mit Hilfe des von ihm erfundenen Kanzlerkandidaten Horst Schlämmer dabei zu beweisen, dass die Deutschen doch nicht so humorfrei sind, wie mitunter behauptet wird

Berlin. Der Komiker Hape Kerkeling ist gerade mit Hilfe des von ihm erfundenen Kanzlerkandidaten Horst Schlämmer dabei zu beweisen, dass die Deutschen doch nicht so humorfrei sind, wie mitunter behauptet wird. Das haben vor Kerkeling auch schon andere Schöpfer erfundener Kunstfiguren versucht, die wohl nur deshalb ein verblüffend reales Eigenleben entfalten konnten, weil die Deutschen nicht einmal die Politik für eine zwingend tierisch ernste Angelegenheit halten.

Die älteste Kunstfigur geistert schon seit 72 Jahren durch Amtsstuben und Folianten des Auswärtigen Amtes. Der Ministerialrat Edmund Friedemann Dräcker ("das Phantom des AA") wurde 1937 von dem damaligen Legationssekretär und späteren Botschafter Hasso von Etzdorf ins Leben gerufen. Der junge Diplomat, damals an der deutschen Botschaft in Rom tätig, ließ sich aus stinklangweiligen Sitzungen befreien, indem er den Kanzleidiener auftreten ließ: "Herr Ministerialrat Dräcker aus Berlin wünscht Sie zu sprechen." Bald erkannten weitere Spaßvögel im Auswärtigen Amt, dass Dräcker auch für anderen Schabernack taugte. Sie ließen Dräcker in Aktenvermerken und Depeschen zu so wichtigen Angelegenheiten wie dem Verbot des Aufbindens von Bären und der Normierung des Seemannsgarns Stellung beziehen.

Am 1. April 1982 lancierten Dräckers Mentoren die Meldung, der Ministerialrat habe auf einer Eisscholle in der Antarktis die Bundesflagge gehisst. Prompt protestierte die DDR gegen diesen "imperialistischen Akt". Als 2001 ein Film über Dräcker gedreht wurde, überreichte der ehemalige Regierungssprecher und Botschafter Karl-Günther von Hase dem Bonner "Haus der Geschichte der Bundesrepublik" als "wichtiges Beweismaterial" die Aktentasche Dräckers. Die Mentoren Dräckers, allesamt gestandene Botschafter, haben nie zugegeben, dass Dräcker eine Erfindung war.

Die Fälschung konnte auch bei dem SPD-Bundestagsabgeordneten Jakob Maria Mierscheid nur deshalb so anstandslos durchgehen, weil die Figur so glaubhaft gestrickt war. Mierscheid wurde 1979 im Restaurant des Bonner Bundeshauses von drei SPD-Abgeordneten erfunden, darunter der spätere Staatssekretär Dietrich Sperling. MdB Mierscheid verschickte Briefe an die SPD-Fraktion, wetterte darin gegen das Gesetzes-Chinesisch, gab Interviews und entdeckte das Mierscheid-Gesetz über den Zusammenhang zwischen Stahlproduktion und Abschneiden der SPD bei Wahlen. Auf der Website des Bundestages finden sich 39 Einträge über Mierscheid, die jüngste datiert vom 10. August dieses Jahres. Da verkündet Mierscheid, die Trendwende sei nunmehr da.

Des Phantom-Abgeordneten bemächtigten sich sogar Trittbrettfahrer. So wurde Mierscheid unterstellt, er habe sich dafür eingesetzt, "Ulla Schmidt" zum "Unwort des Jahres" zu erklären. Die Figur des MdB Mierscheid verdankt ihren Erfolg dem Vergnügen mancher Politiker, den Politbetrieb und sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Dass die Politik nicht so ganz spaßfrei ist, zeigt auch die Statistik: Von bisher 59 "Orden wider den tierischen Ernst" des Aachener Karnevalsvereins gingen immerhin 36 an Politiker.

Nicht einmal das hehre Bundesverfassungsgericht blieb frei von Spaß-Attacken. Dem Verfassungsjuristen Friedrich Gottlob Nagelmann widmeten sogar der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda und der spätere Bundespräsident Roman Herzog eine Festschrift. Das Bonner Haus, in dem Nagelmann angeblich gewohnt hat, schmückt sogar eine reale Gedenktafel.

Der vorgebliche Kanzlerkandidat Horst Schlämmer bestritt in den letzten Tagen Fernsehauftritte und gab Interviews. Nach einem beispiellosen Medienrummel für den Kerkeling-Film "Horst Schlämmer - isch kandidiere" (ab Donnerstag in den Kinos) wollte ein Meinungsforschungsinstitut herausgefunden haben, dass 37 Prozent der Deutschen Schlämmer zum Kanzler wählen würden. Laut einem anderen Institut können sich 18 Prozent vorstellen, Schlämmers Partei HSP zu wählen. Was den Verdacht nahelegt, dass sich mit entsprechendem Medienrummel jeder zum Kanzlerkandidaten hochjubeln ließe.

Horst Schlämmer belegt, dass Politik eine Menge mit Clownerie zu tun hat. Man kann über Schlämmers Polit-Blabla lachen. Man kann aber auf der anderen Seite auch darüber weinen, weil die Sprechblasen so viel Ähnlichkeit mit den Sprüchen tatsächlich lebender Politiker haben.

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