„Wichtig ist, dass Europa mit einer Stimme spricht“

Die Grünen sind in der Ukraine-Krise nicht weit von der Linie der Regierung entfernt. Das macht Parteichefin Simone Peter (48) im Interview mit SZ-Korrespondent Werner Kolhoff deutlich. Größere Meinungsunterschiede gibt es eher mit den Linken.

Für eine Partei mit pazifistischen Wurzeln ist die Ukraine-Krise eine besondere Herausforderung. Ist die schöne Zeit der Friedensdividende vorbei?

Peter: Gerade die aktuelle Situation rund um die Ukraine zeigt doch, wie wichtig die Europäische Union als Friedens- und Demokratieprojekt ist. Das erschien schon als völlig selbstverständlich und sollte uns jetzt als Ermutigung dienen. Es zeigt auch, wie wichtig es ist, dass Europa mit einer starken, gemeinsamen Stimme spricht und handelt. Nur dann wird es von Russland auch ernst genommen und kann angesichts der Annexion der Krim die nötigen diplomatischen Mittel einsetzen.

Die baltischen Staaten, Polen und andere fühlen sich von Russland bedroht und rufen nach mehr Schutz durch die Nato. Ziehen die Grünen da mit?

Peter: Ich verstehe die Sorgen der baltischen Staaten und der Polen. Aber die Nato sollte an ihren Außengrenzen jetzt nicht das Signal setzen, dass sie militärisch gegen Russland aufrüstet. Das könnte die diplomatischen Bemühungen konterkarieren. Wir dürfen in Europa nicht in eine Konfrontation wie im Kalten Krieg zurückfallen.

Aber es kann der Frömmste in Frieden nicht leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Was passiert, wenn Russland in den Osten der Ukraine einmarschiert?

Peter: Das würde zu einer gefährlichen Eskalation der Situation führen, davor muss man Russland sehr deutlich warnen. Ich hoffe sehr, dass die diplomatischen Mittel und die OSZE-Mission dazu beitragen, dass dies nicht eintritt. Zudem hat die EU einen klaren Stufenplan bis hin zu harten Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland aufgestellt, den wir unterstützen.

Sie unterstützen also den bisherigen Kurs der Bundesregierung in dieser Krise?

Peter: Im Grundsatz ja. Allerdings fordern wir sehr deutlich, dass es in dieser Situation keine Waffenexporte aus der EU nach Russland geben darf. Damit waren wir ja schon in Ansätzen erfolgreich. Auch verlangen wir eine stärkere Debatte darüber, wie wir unsere Energieabhängigkeit von russischem Gas und Öl schneller verringern können: durch den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energiequellen, durch Energieeinsparung und mehr Energieeffizienz. Europa und Deutschland fehlt eine Energiesicher heits-Strategie.

Es gibt noch ein Krisenland in Europa, die Türkei. Verändern die Wahl und das Verhalten Erdogans die Position der Grünen bezüglich eines EU-Beitritts der Türkei?

Peter: Dass Oppositionelle verfolgt, Medien ausgeschaltet und ein Wahlkampf so unfair verläuft, darf es in der EU nicht geben. Aber man sollte den Verhandlungsprozess fortsetzen, gerade um den Demokratisierungsprozess in der Türkei in Gang zu halten und die demokratischen Kräfte dort zu unterstützen. Allerdings müssen wir auch deutlich machen, dass der Beitritt gefährdet ist, wenn Erdogan und die AKP so weitermachen.

Die Grünen haben in der Ukraine die Maidan-Bewegung unterstützt. Die Linken werfen Ihnen vor, dass darunter auch faschistische Kräfte gewesen seien.

Peter: In ihrer klaren Mehrheit ist die Maidan-Bewegung eine demokratische Bewegung gegen einen korrupten und autoritär herrschenden Präsidenten. Genau so klar muss man die rechtsradikalen Kräfte, die eindeutig in der Minderheit sind, kritisieren und alles tun, damit ihr Einfluss bei den anstehenden Wahlen zurückgedrängt wird. Mir geht es um den Austausch von Sachargumenten. Der Vorwurf der Linken war unsachlich.

Ist das Tischtuch mit den Linken damit zerschnitten und die Perspektive einer rot-rot-grünen Koalition im Jahr 2017 perdu?

Peter: Wir wissen, dass wir in vielen außen- und europapolitischen Fragen mit den Linken nicht auf einer Linie sind. Das sind wir aber zum Beispiel bei der Zuwanderung mit der Union auch nicht. Wir müssen die Kommunikation mit den denkbaren Partnern aufrecht erhalten, um Positionen zu diskutieren und abzugleichen.

Mit ihrem Steuererhöhungsprogramm sind die Grünen bei der Bundestagswahl baden gegangen. Wäre angesichts der Rekordeinnahmen des Fiskus jetzt nicht ein geeigneter Zeitpunkt für eine Kurskorrektur?

Peter: Wir sollten da jetzt keine Schnellschüsse machen. Klar ist, es gibt nicht nur mehr Steuermehreinnahmen, es gibt auf der anderen Seite auch erhebliche finanzielle Herausforderungen: Für die Infrastruktur, für die Bildung, für den Klimaschutz. Dafür stehen nicht genügend Mittel zur Verfügung. Der Subventionsabbau bleibt hier ein Thema, ebenso die Umschichtung der Ausgaben zugunsten sozialer und ökologischer Projekte und schließlich auch die Steuergerechtigkeit. Wir sollten uns für die Debatte ausreichend Zeit nach den Europa- und Kommunalwahlen nehmen, die jetzt unsere gesammelten Kräfte erfordern.

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