Westerwelle wirft seinen Kritikern Scheinheiligkeit vor

Berlin. Wer weiß schon, was FDP-Chef Guido Westerwelle (Foto: dpa) derzeit so umtreibt. Die schlechten Umfragewerte? Die Führungsdebatte um seine Person? Gestern jedenfalls goss Westerwelle in der Debatte um "Hartz IV" und die Leistungen des Sozialstaats weiter Öl ins Feuer. "Mehr und mehr werden diejenigen, die arbeiten in Deutschland, zu den Deppen der Nation

Berlin. Wer weiß schon, was FDP-Chef Guido Westerwelle (Foto: dpa) derzeit so umtreibt. Die schlechten Umfragewerte? Die Führungsdebatte um seine Person? Gestern jedenfalls goss Westerwelle in der Debatte um "Hartz IV" und die Leistungen des Sozialstaats weiter Öl ins Feuer. "Mehr und mehr werden diejenigen, die arbeiten in Deutschland, zu den Deppen der Nation. Das akzeptiere ich nicht", sagte Westerwelle gestern. Der FDP-Chef, der angesichts der Diskussion über die Höhe der Hartz-IV-Sätze von "spätrömischer Dekadenz" gesprochen hatte, lehnte eine Entschuldigung bei Langzeitarbeitslosen ab und warf vielmehr seinen Kritikern "Scheinheiligkeit" vor. "Ich habe nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil: Die mich jetzt am lautesten beschimpfen, haben den Murks bei Hartz IV doch selber produziert", sagte er. "Ich glaube, dass wir ohnehin einen völligen Neuanfang brauchen in unserem Sozialstaat", betonte Westerwelle. Der Sozialstaat müsse treffsicherer werden und vor allem Kindern mehr helfen. Es sei "geradezu skandalös", dass eine Kellnerin mit zwei Kindern im Schnitt 109 Euro weniger im Monat zur Verfügung habe, als wenn sie Hartz IV bezöge. "Das kann so nicht weitergehen." Wenn er dafür kritisiert werde, "dann ist das wirklich eine ziemlich sozialistische Entwicklung".

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ließ eine gewisse Nähe zu den umstrittenen Positionen Westerwelles erkennen. "Es gibt mancherorts eine wachsende Neigung, sich abzufinden mit der eigenen Lage. Da fehlt oft der Wille, der Drang, rauszukommen aus Hartz IV." Auch CSU-Chef Horst Seehofer forderte strengere Zumutbarkeitsregelungen zur Annahme von Jobs. Diese seien bislang zu weit gefasst. Wer solche Hilfe ablehne, "dem müssen wir das Handwerk legen".

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte derweil klar, dass er nach der höchstrichterlich gerügten Verfassungswidrigkeit der Hartz-IV-Berechnung nicht mehr Geld geben will. Die Karlsruher Richter hätten die Hartz-IV-Sätze ausdrücklich nicht für unzureichend erklärt, sagte Schäuble. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ging auf Distanz zu Westerwelle. "Wir brauchen uns gar nicht in solche Debatten zu verbeißen", sagte sie. "Das Bundesverfassungsgericht hat klar gemacht: Das Existenzminimum muss in unserem Sozialstaat gesichert sein, denn es geht um die Würde des Menschen."

Drastischer fielen die Reaktionen der Opposition aus. Grünen-Chefin Renate Künast nannte Westerwelle einen "Polit-Rowdy", dem "der Diplomatenanzug des Außenministers offensichtlich mehrere Nummern zu groß" sei. "Solch einen Wutausbruch der sozialen Spaltung hat es von einem Vizekanzler noch nicht gegeben." Die Grünen-Politikerin Brigitte Pothmer bescheinigte dem FDP-Chef "kompletten Realitätsverlust". Der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Alois Glück, nannte Westerwelles Äußerungen "diffamierend".

Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sagte zu Westerwelles umstrittenem Vergleich: "Die spätrömische Dekadenz bestand darin, dass die Reichen nach ihren Fressgelagen sich in Eselsmilch gebadet haben und der Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt hat." Insofern stimme Westerwelles Vergleich, sagte Geißler: Vor 100 Tagen sei "ein Esel Bundesaußenminister geworden".

Der designierte Linkspartei-Chef Klaus Ernst zweifelte hingegen wie Westerwelle die Glaubwürdigkeit der Angriffe aus der SPD an und verwies ebenfalls auf die Verantwortung der Sozialdemokraten für Hartz IV. "Wenn Westerwelle ein Brandstifter ist, dann hat ihm die SPD die Streichhölzer geliefert", sagte Ernst.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort