Wer kommuniziert wann, wie lange, von wo aus und mit wem?
Karlsruhe. Der Grünen-Politiker Volker Beck, einer von 34 938 Bürgern, die in Karlsruhe gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung klagten, wählte gestern große Worte vor dem Bundesverfassungsgericht: "Das Urteil wird historische Bedeutung haben für Freiheit und Verfassung unserer Republik
Karlsruhe. Der Grünen-Politiker Volker Beck, einer von 34 938 Bürgern, die in Karlsruhe gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung klagten, wählte gestern große Worte vor dem Bundesverfassungsgericht: "Das Urteil wird historische Bedeutung haben für Freiheit und Verfassung unserer Republik." Dass er damit aber womöglich Recht hat, verdeutlichten die nach Karlsruhe geladenen Experten: Mit all den für je sechs Monate gespeicherten Telefon- und Internetverbindungsdaten könnten Polizei, Geheimdienste, aber auch Kriminelle feststellen, wer, wann, wie lange, von wo aus, mit wem kommuniziert hat, und aus diesen Beziehungsgeflechten Persönlichkeitsprofile erstellen. Das Bild von einer Welt, in der dem Kläger und FDP-Politiker Burkhard Hirsch zufolge jeder "elektronische Atemzug" aufgezeichnet und ausgewertet werden kann, ist durchaus düster. Laut dem Gutachten des Chaos Computer Clubs (CCC) kann mit spezieller Software das komplette soziale Netz eines Menschen identifiziert und tiefe Einblicke in sein Privatleben gewonnen werden. Wenige Kontaktdaten etwa zu Scheidunganwälten, Ärzten, Prostituierten, speziellen Versandhändlern oder Kreditvermittlern ermöglichten bereits umfangreiche Rückschlüsse auf einen Menschen. Zudem können diese Daten mit Bewegungsprofilen verknüpft werden: Die bundesweit rund 110 Millionen Handys werden künftig bis auf wenige Meter genau ortbar sein und damit dem Gutachten zufolge alle zu "Ortungswanzen". Aber nicht nur Polizei und Geheimdienste haben Interesse an solch sensiblen Daten: Das CCC-Gutachten verweist auf einen "Spiegel"-Bericht vom Mai, wonach die Deutsche Telekom und die Deutsche Bank Detekteien zur Auswertung von Verbindungsdaten und zur Erstellung von Bewegungsprofilen ihrer Führungskräfte oder deren Familien beauftragt hatten. Datendiebstahl ist offenbar ein Kinderspiel. Nach Angaben der Club-Sprecherin Constanze Kurz könnten Wirtschaftsspione oder Erpresser auf einem Kamera-Speicherchip in der Größe eines Fingernagels alle Verbindungsdaten von sechs Monaten speichern und unauffällig aus einem Telekomunternehmen schmuggeln - auch die SMS-Daten der Bundeskanzlerin, sagte KurzDass die Daten, wie von den Vertretern der Bundesregierung vorgetragen, wirklich für Strafverfolgung gebraucht werden, bezweifelte der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar. Er verwies darauf, dass 2007, im Jahr vor dem Inkrafttreten des umstrittenen Gesetzes, die Aufklärungsquote der Internetkriminalität bei 82,9 Prozent lag. Zudem umgehen Täter längst die Fallen der Datenspeicherung und telefonieren mit unregistrierten Prepaid-Handykarten. Die Vorratsdatenspeicherung sei "ein enormer Aufwand mit wenig mehr Wirkung auf Kriminelle und Terroristen, als sie etwas zu verärgern", sagte der Präsident des Europäischen Verbands der Polizei, Heinz Kiefer 2005. Gut möglich, dass die Verfassungshüter das Gesetz kippen, und dem Verfassungsgerichtshof Rumäniens folgen. Der erklärte die Umsetzung der EU-Richtlinie als nicht vereinbar mit der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie bedrohe die Meinungsfreiheit der Bürger, weil sie "weder frei noch unzensiert" kommunizieren könnten. Ob dies auch Karlsruhe so sieht, wird die Urteilsverkündung in drei Monaten zeigen.