Wer hat in Europa künftig die Krone auf?

Brüssel. Ein "Frühstücksdirektor oder Grüß-Gott-August" will Jean-Claude Juncker nicht sein. Europas bislang einziger ernst zu nehmender Kandidat für das neue hohe Amt ahnt offenbar, was auf ihn zukommt, wenn er den Ruf annimmt. Am 1

Die Krönung eines EU-Präsidenten steht bevor: Er soll sein Amt am 1. Januar 2009aufnehmen. Foto: dpa, Montage: SZ

Die Krönung eines EU-Präsidenten steht bevor: Er soll sein Amt am 1. Januar 2009aufnehmen. Foto: dpa, Montage: SZ

Brüssel. Ein "Frühstücksdirektor oder Grüß-Gott-August" will Jean-Claude Juncker nicht sein. Europas bislang einziger ernst zu nehmender Kandidat für das neue hohe Amt ahnt offenbar, was auf ihn zukommt, wenn er den Ruf annimmt. Am 1. Januar 2009 bekommt die EU zum ersten Mal einen Präsidenten, doch keiner weiß wofür, und was der Mann (oder die Frau) eigentlich tun soll. Der Lissabonner Vertrag, dessen Ratifizierung erstens unsicher und zweitens Voraussetzung ist, schweigt sich aus. Dafür geht es hinter den Brüsseler Kulissen umso heftiger zur Sache. Martin Schulz, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, bringt das Problem auf den Punkt: "Der EU-Ratspräsident wird sich bestimmte Aufgaben nicht nehmen lassen, ohne die der EU-Präsident aber zum Statisten werden würde."

Das beginnt schon am 1. Januar 2009. An diesem Tag geht die EU-Ratspräsidentschaft an Mirek Topolánek, den Ministerpräsident von Tschechien. Schulz: "Topolánek hat klare Vorstellungen, wie er sein Programm selbst vorstellen will." Also sitzt der EU-Präsident daneben. Vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy wird kolportiert, er sei bei der Vorstellung, Aufgaben an den künftigen Ersten Mann der Gemeinschaft abzugeben, "aus dem Anzug gesprungen". Die Staats- und Regierungschefs stehen vor einem Dilemma: Statten sie den neuen EU-Präsidenten mit vielen Vollmachten aus, entmachten sie sich selbst. Lassen sie aber nur einen schwachen Amtsinhaber zu, finden sie keinen Kandidaten und degradieren den dann auch noch zum Statisten. Schulz: "Das wäre sicher nicht das, was eine starke EU bei ihrer Außendarstellung brauchen kann."

Damit nicht genug. Denn an der Seite des künftigen Präsidenten soll künftig der Hohe Beauftragte für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stehen. Der wird vom EU-Gipfel ernannt. Gleichzeitig übernimmt er aber den Posten des Vize-Präsidenten der EU-Kommission und muss sich deshalb dem Europäischen Parlament in einer Anhörung stellen. Die Abgeordneten haben ein Veto-Recht. Und sie sind es, die den Etat für den "heimlichen Außenminister" und seinen diplomatischen Dienst genehmigen müssen. Nicht nur der Sozialdemokrat Schulz sagt offen: "Das gibt uns Macht, die wir nutzen werden, um auch bei den Gesprächen über die gesamte EU-Spitze einbezogen zu werden."

Richtig kurios wird die neue Konstruktion aber erst im Alltag. Ob der neue EU-Präsident die künftigen Gipfeltreffen leitet oder nur vorbereitet, ist nämlich unklar. Und auch die so genannte Außenvertretung der Gemeinschaft entpuppt sich als schwierig. Bisher reisen beispielsweise zu den turnusmäßigen Gipfeltreffen mit den USA, Russland, China oder Lateinamerika stets der Rats- und der Kommissionspräsident. Künftig wird der EU-Präsident ebenfalls dabei sein. Ob der Parlamentspräsident, der ab 1. Januar 2009 einer deutlich gestärkten Volksvertretung vorsitzt, sich ausgrenzen lässt, darf bezweifelt werden. Und dann wäre da ja noch der neue Hohe Beauftragte. Ergibt fünf. Wer hat da wirklich was zu sagen? Martin Schulz zuckt die Achseln. "Das muss man noch regeln."

Dabei aber läuft den EU-Staats- und Regierungschefs die Zeit weg. Denn unabhängig von der Frage, ob der Reformvertrag wirklich überall ratifiziert wird, müsste eine solche Vereinbarung spätestens beim Sommergipfel im Juni abgeschlossen werden. Bisher gibt es noch nicht einmal einen Entwurf.

Hintergrund

Der EU-Präsident heißt offiziell Präsident des Europäischen Rates, also des EU-Gipfels. Die Position war schon im abgelehnten Verfassungsvertrag enthalten. Denn sowohl die Konstitution wie auch der Lissabonner Reformvertrag sollen ja ein Defizit ausgleichen: Die Europäische Union erhält erstmals eine Rechtspersönlichkeit. Deshalb braucht sie auch einen Repräsentanten: den Präsidenten. Der wird von den Staats- und Regierungschefs (EU-Gipfel) mit qualifizierter Mehrheit gewählt und dann ernannt. Seine Amtszeit dauert 2,5 Jahre. Zunächst war vorgesehen, dafür den bisherigen Ratsvorsitz, der alle sechs Monate wechselt, abzuschaffen. Nachdem es aber Widerstand aus den Reihen der Regierungschefs gab, beließ man es bei der heutigen Regelung, so dass der EU-Präsident jetzt noch "obendrauf" gesetzt wird. dr

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