Wenn Polizisten nicht wissen, was Schlapphüte tun

Die erschütternde Mordserie durch Thüringer Neonazis wirft auch ein Schlaglicht auf die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland

Die erschütternde Mordserie durch Thüringer Neonazis wirft auch ein Schlaglicht auf die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland. "Wenn der Verfassungsschutz einmal im Jahr einen relativ nichtssagenden Bericht veröffentlicht und die Polizei ansonsten nicht mit ausreichenden Informationen versorgt, kann die Polizei nur sehr eingeschränkt tätig werden", klagte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gestern in einem Interview.Dass sich die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern nicht einmal gegenseitig über den Weg trauen, war schon beim NPD-Verbotsverfahren vor zehn Jahren offen zu Tage getreten. Keiner wusste damals vom anderen, wer wie viele V-Leute in den Führungsetagen der Rechtsaußenpartei platziert hatte. Auch deshalb war das Verfahren am Ende gescheitert. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will dem internen Informationsaustausch nun mit einem speziellen Zentralregister auf die Sprünge helfen. Nach dem Vorbild der bereits bestehenden Anti-Terror-Datei über gefährliche Islamisten soll eine Datensammlung über gewaltbereite Neonazis entstehen, die sich aus den Erkenntnissen der Verfassungsschutzämter und Polizeibehörden in Bund und Ländern speist. Auf diese Weise könnten "Daten über gewaltbereite Rechtsextremisten und politisch rechts motivierte Gewalttaten zusammengeführt werden", erklärte Friedrich. Nach dem aktuellen Verfassungsschutzbericht gibt es in Deutschland rund 9500 militante Neonazis.

Wie schon bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung fuhr FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihrem Kabinettskollegen von der CSU allerdings prompt in die Parade. Dateien über rechte Gewalttäter gebe es bereits, erklärte die Freidemokratin und fragte spitz: "Was soll das Neue an so einer Datei sein?" Nach Ansicht des Terrorismus-Experten Rolf Tophoven gibt es darauf eine klare Antwort: "Die Verknüpfung der ganzen Informationen ist gegenwärtig nicht gegeben." Deshalb mache der Vorschlag des Innenministers Sinn. Auch der Sicherheitsexperte der SPD, Dieter Wiefelspütz, betonte gestern die Notwendigkeit "einer vernetzten, umfassenden Strategie gegen den Rechtsextremismus". Über ein Zentralregister könne man reden. Nur dürfe damit nicht der Eindruck erweckt werden, es handele sich um ein Patentrezept, fügte Wiefelspütz einschränkend hinzu.

Im Kampf gegen den islamistischen Extremismus wurde schon vor sieben Jahren das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin eingerichtet. Dort kooperieren bereits knapp 200 Spezialisten aller Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Kritiker sahen darin allerdings auch immer eine unzulässige Vermischung von Polizei- und Verfassungsschutzaufgaben. Angesichts der schrecklichen Erfahrungen mit der geheimen Staatspolizei zwischen 1933 und 1945 besteht in Deutschland ein striktes Trennungsgebot zwischen beiden Behörden. Demnach hat der Verfassungsschutz ausschließlich nachrichtendienstliche Befugnisse. Er darf also nur beobachten und Erkenntnisse sammeln, während sich die Polizei um die Strafverfolgung kümmert, also Verhaftungen und Hausdurchsuchungen vor nimmt.

"Diese Trennung bedeutet aber weder ein Kooperations- noch ein Informationsverbot", stellte der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach gegenüber unserer Zeitung klar. Nur durch einen ständigen Informationsaustausch zwischen beiden Behörden könnten auch kontinuierliche Lagebilder zur rechten Gewalt entstehen, so Bosbach. Nach dem Willen des Bundesinnenministers soll die zentrale Neonazi-Datei im nächsten Jahr per Gesetz aufgebaut werden.Foto: CDU/CSU-Fraktion

"Die Trennung bedeutet kein Kooperations- verbot."

CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach zum Verhältnis

von Polizei und Verfassungsschutz

Hintergrund

Das saarländische Landesamt für Verfassungsschutz rechnet in seinem Jahresbericht 2010 rund 340 Personen zum rechtsextremistischen Kreis, darunter etwa 100 gewaltbereite Personen. Gegenüber dem Vorjahr (rund 410 Personen) sei dies ein Rückgang um 17 Prozent, gegenüber 2008 (rund 450 Personen) sogar ein Rückgang um 25 Prozent. Als Ursache nennt das Amt "ausgebliebene Wahlerfolge", nach denen viele Mitglieder der Szene den Rücken gekehrt hätten. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass es sich um eine Momentaufnahme handele.

Zum Sprengstoffanschlag auf die Wehrmachtsaustellung im März 1999 in Saarbrücken teilte Saar-Innenminister Stephan Toscani mit: "Zum momentanen Zeitpunkt haben wir keinerlei Anhaltspunkte, dass es einen Zusammenhang mit der Terrorgruppe ,Nationalsozialistischer Untergrund' gibt." jöw

Hintergrund

Die Neonazi-Datei soll frühestens Anfang 2012 kommen. Viele Fragen und Details seien noch offen, hieß es gestern im Bundesinnenministerium. Das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter und die Verfassungsschutzbehörden sollen ihre Erkenntnisse über Rechtsextremisten einbringen. Über die Rechtsgrundlage laufen Gespräche mit dem Justizministerium.dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort