Wenn Kunden der Kragen platzt

Darmstadt. Peter Schirra denkt mit Schrecken an das Messer zurück. Der Frankfurter Regionalleiter der Nassauischen Heimstätte, Hessens größter sozialer Wohnungsbaugesellschaft, musste bei einem Mieter eine Wohnung abnehmen. "Wir konnten uns nicht einigen", erzählt er. "Er fing an zu schreien, drehte sich zum Kühlschrank um. Dort lag ein großes Jagdmesser

 Beschimpfungen, Bedrohungen und Beleidigungen durch Kunden kommen in vielen Branchen täglich vor. Nicht nur am Telefon rasten viele aus, oft kommt es auch zu Handgreiflichkeiten. Foto: Local Caption

Beschimpfungen, Bedrohungen und Beleidigungen durch Kunden kommen in vielen Branchen täglich vor. Nicht nur am Telefon rasten viele aus, oft kommt es auch zu Handgreiflichkeiten. Foto: Local Caption

Darmstadt. Peter Schirra denkt mit Schrecken an das Messer zurück. Der Frankfurter Regionalleiter der Nassauischen Heimstätte, Hessens größter sozialer Wohnungsbaugesellschaft, musste bei einem Mieter eine Wohnung abnehmen. "Wir konnten uns nicht einigen", erzählt er. "Er fing an zu schreien, drehte sich zum Kühlschrank um. Dort lag ein großes Jagdmesser." Es ging noch glimpflich ab. "Der Mieter holte sich aus dem Kühlschrank ein Bier."Doch so harmlos geht der Kundenkontakt für Angestellte nicht immer aus. Im Mai pöbelte ein 23-Jähriger in einem Berliner Bus Fahrgäste an. Als der Busfahrer eingreift, wird er bespuckt und geschlagen. Im April vergangenen Jahres randalierte ein 34-Jähriger in einem Jobcenter und zertrümmert mit einer Axt die Büroeinrichtung eines Sachbearbeiters sowie drei Glastüren. Und kürzlich drohte ein 24-Jähriger in einem Berliner Spielkasino Mitarbeitern der Gewerbeaufsicht bei einer Kontrolle mit einer Bombe.

Wie eine gestern präsentierte Studie der Hochschule Darmstadt feststellte, nehmen solche Angriffe von erbosten Kunden in Dienstleistungsfirmen, Ämtern und Behörden zu. "Die Zahl der Unternehmen, die Konfliktsituationen gelegentlich oder häufig registrieren, hat deutlich zugenommen", sagte der Darmstädter Wirtschaftswissenschaftler Matthias Neu. Während solche Konflikte bei der ersten Erhebung des "Kunden-Konfliktmonitors" vor acht Jahren 61 Prozent der Unternehmen beklagt hätten, seien es in diesem Jahr bereits 78 Prozent gewesen. Vor allem verbale Auseinandersetzungen und Drohungen nähmen zu, sagte der Wirtschaftsprofessor.

Besonders häufig waren die Konfliktsituationen im Gesundheits- und Sozialwesen mit Drohungen (31,8 Prozent) und gewalttätigen Übergriffen (13,9 Prozent). Die stärkste Zunahme an Drohungen habe die Finanzdienstleistungsbranche verzeichnet. Der Wert sei dort von zwei Prozent im Jahr 2004 auf aktuell 18,7 Prozent gestiegen. "Zu vermuten sind hier die Auswirkungen der Finanzkrise", sagte Neu. Körperliche Gewalt und Waffengewalt seien hingegen seit 2004 in allen Branchen weniger geworden.

Bei der Nassauischen Heimstätte werde in Rollenspielen Deeskalation trainiert. "Wir dürfen nicht zurückschreien, wenn der Mieter schreit." Es gebe aber schon mal deftige Beleidigungen. Jobcenter-Sprecher Steffen Römhild sieht aber generell keine Zunahme von aggressivem Verhalten. Dass es hier und da mal knirscht, sei normal. "Bei Anträgen müssen ja die finanziellen Verhältnisse offen gelegt werden. Das fällt nicht jedem leicht. Wir haben das relativ gut im Griff." Seit 2005 gebe es für alle Mitarbeiter ein Deeskalationstraining.

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ist kritischer. Schuld an einem Streit sei nicht immer nur der Kunde, sondern auch der Mitarbeiter. "Es ist haarsträubend, wie Ämter mit sozial Schwachen umgehen", sagt KFN-Direktor Christian Pfeiffer. "Es fehlt an Schulung der Mitarbeiter. Es gibt obrigkeitsstaatliches Gehabe." Es herrsche meistens ein extrem rauer Ton und oft eine fast feindliche Atmosphäre.

Wie man einen Kunden mit Wut im Bauch besänftigen kann, weiß Psychologie-Professor Thomas Elbert von der Universität Konstanz: "Ein Behördenmitarbeiter kann dem Antragsteller sagen: "Ich sehe, Sie sind verärgert". Dann ist die Luft raus."

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