G20-Ausschreitungen Wenn Krawall auf Krawall folgt

Saarbrücken · Seit G20 laufen die Netzwerke heiß. Mittendrin: ein „Bild“-Artikel – und die Saar-CDU.

 CDU-Mann Wolfgang Bosbach ist ein Talkshow-Profi. Doch beim „Maischberger“-Talk platzt ihm der Kragen. Verärgert verlässt er die Sendung.

CDU-Mann Wolfgang Bosbach ist ein Talkshow-Profi. Doch beim „Maischberger“-Talk platzt ihm der Kragen. Verärgert verlässt er die Sendung.

Foto: dpa/Melanie Grande

Die Stimmung im Studio ist von Beginn an aufgeheizt: Moderatorin Sandra Maischberger will in ihrer ARD-Talkshow über die Krawalle beim G20-Gipfel sprechen. Eigentlich. Doch an diesem Mittwochabend sind die Gäste auf Streit aus. Zwei mischen besonders heftig mit: CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach und seine Gegenspielerin, die linke Aktivistin Jutta Ditfurth. Bosbach fordert beispielsweise mehr Härte gegen linke Extremisten. Und Ditfurth Konsequenzen für den Polizei-Einsatz, „eine der übelsten Reaktionen, die ich je erlebt habe“. Es wird persönlich. Irgendwann platzt Bosbach der Kragen: „Das muss ich nicht mitmachen“, sagt er und verlässt das Studio – und Ditfurth nennt ihn eine „kleine Mimose“.

Genau wie im TV-Studio scheint derzeit in ganz Deutschland die Atmosphäre aufgeheizt. Die Nation ist gespalten, in Bosbachs und Ditfurths. Das zeigt sich schon an den heftigen Kommentaren in den sozialen Netzwerken. In Tweets und Posts geht es auch darum, wie das Land mit dieser linksautonomen Gewalt umgehen soll, die manche sogar an Zeiten der RAF und des „deutschen Herbstes“ erinnern.

Die „Bild“-Zeitung hat einen ungewöhnlichen Weg gefunden: Sie „fahndet“ seit Tagen auf Facebook mit dem Artikel „Gesucht – Wer kennt diese G20-Verbrecher?“ nach mutmaßlichen Gewalttätern des Hamburg-Gipfels. Den entsprechenden Post haben bis heute über 17 000 Leser geteilt. Darin werden verschiedene Personen unverpixelt gezeigt, die Steine werfen oder Supermärkte plündern. Bei Facebook wird die Springer-Presse dafür sowohl gefeiert als auch beschimpft. Die zentrale Frage lautet: Verfolgt die Zeitung ein öffentliches Interesse, also den Schutz der Bürger vor Kriminellen, oder verletzt sie Persönlichkeitsrechte von Menschen, die nicht rechtskräftig verurteilt wurden?

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisiert den „mindestens fragwürdigen“ Bericht. „Ich kann mich in den vergangenen Jahren nicht an einen vergleichbaren Beitrag erinnern“, sagt Sprecherin Eva Werner der SZ. Für den DJV sei grundlegend klar: „Medien dürfen sich nicht zum Richter machen.“ Aber sieht das auch der Presserat so, das ethische Gewissen der Branche? Arno Weyand, Referent für Beschwerdeausschüsse, bestätigt, dass der Rat derzeit prüft, ob ein offizielles Beschwerdeverfahren gegen die „Bild“ eingeleitet wird. „Wir halten den Fall für diskussionswürdig. Die Frage ist, ob das öffentliche Interesse oder der Persönlichkeitsschutz überwiegt.“ Eine Entscheidung soll in den kommenden Tagen fallen.

Auch die CDU Saar hat sich hier klar positioniert. Sie teilt den kontroversen „Bild“-Post auf ihrer Facebook-Seite. Von dort aus wurde er über 200 Mal geteilt. „Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, wer sich an solchen Krawallen beteiligt“, sagt Timo Flätgen, Geschäftsführer der Saar-CDU.

Sascha Markus, ein Blogger aus Saarbrücken, sieht das anders. In einem Facebook-Post wirft er der Partei vor, einen aus seiner Sicht „illegalen privaten Fahndungsaufruf“ der „Bild“ zu teilen. „Ich verstehe nicht, wie eine demokratische Volkspartei so etwas tun kann“, sagt Markus der SZ. Auch die Linke im Landtag findet die „Fahndung“ von „Bild“ und Saar-CDU „äußerst fragwürdig“. Deren rechtspolitischer Sprecher fordert nun den saarländischen Justizminister, Stephan Toscani (CDU), auf, Stellung zu beziehen.

Der Mainzer Anwalt Karsten Gulden gilt als einer der Medienrecht-Experten in Deutschland. Er befindet „das Verhalten der Bild-Zeitung nach dem jetzigen Kenntnisstand als unzulässig“. Anders bewertet der Jurist den Post der Saar-CDU: „Wer bei Facebook fremde, rechtswidrige Beiträge teilt, haftet grundsätzlich nicht für deren Inhalte.“ Denn durch bloße Verlinkung mache man sich die fremden Inhalte noch nicht zu eigen. Jedoch: Würde die Union die Verlinkung zustimmend kommentieren, wäre das „unzulässig“ und „ein Verfahren käme in Betracht“, warnt Gulden.

Und was bedeutet das jetzt für Social-Media-Nutzer in Deutschland? Vielleicht das: Lieber einmal zu viel den „Bosbach machen“ und vom Senden-Button verschwinden, bevor man einen fragwürdigen Artikel kommentierend teilt – und dafür später geradestehen muss.

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