Wenn Herz und Nieren knapp sind

Berlin. Erich Frevert-Henske lebt seit drei Jahren mit einer fremden Lunge. Anfang 2008 bekam der Berliner das Spenderorgan eingepflanzt. Über ein Jahr musste er auf die überlebensnotwendige Operation warten. "Ich bin ein Glückspilz", sagt der 62-Jährige und ergänzt: "Meistens stirbt man darüber hinweg." Der Befund ist erschütternd

Berlin. Erich Frevert-Henske lebt seit drei Jahren mit einer fremden Lunge. Anfang 2008 bekam der Berliner das Spenderorgan eingepflanzt. Über ein Jahr musste er auf die überlebensnotwendige Operation warten. "Ich bin ein Glückspilz", sagt der 62-Jährige und ergänzt: "Meistens stirbt man darüber hinweg."

Der Befund ist erschütternd. Nach Angaben der Initiative "Pro Organspende" warten in Deutschland etwa 12 000 Menschen auf ein Spenderorgan. Jedes Jahr sterben etwa 3000 Patienten, weil lebensrettende Organe nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Nur etwa 14 Prozent der Deutschen haben einen Organspendeausweis, sind also bereit, nach ihrem Tod selbst einen Teil ihres Körpers abzugeben. 2009 kamen auf eine Million Einwohner 14,9 tatsächliche Spender (Saarland: 15,6).

An der Diskrepanz zwischen dem Bedarf an Organen und der geringen Spendenbereitschaft ist nicht zuletzt die geltende Rechtslage schuld. Organe dürfen nämlich nur dann entnommen werden, wenn der Spender zu Lebzeiten seine ausdrückliche Genehmigung gegeben hat. Liegt kein Spenderausweis vor, müssen die Angehörigen nach seinem Tod entscheiden. In der schmerzlichen Stunde eines Trauerfalls sind jedoch die Verwandten mit der Entscheidung häufig überfordert.

Die Unzulänglichkeiten dieser sogenannten erweiterten Zustimmungsreglung sorgten zuletzt im Sommer 2010 für Diskussionsstoff, als SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier seiner schwer erkrankten Ehefrau eine Niere spendete. Nach der erfolgreichen Operation regte Steinmeier eine "Äußerungspflicht" für alle Bürger an, wie sie es mit der Spendenbereitschaft halten wollen. Jeder kann immer noch Ja oder Nein sagen, aber alle werden gefragt. Auf diese Idee läuft nun auch ein Vorschlag der Initiative "Pro Organspende" hinaus, zu deren Unterstützern auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (Foto: dpa) gehört. Kauder nennt es "Entscheidungslösung". Dabei sollen sich die Bürger etwa bei Beantragung des Personalausweises, Reisepasses oder des Führerscheins zu der Frage erklären. "Uns ist wichtig, dass wir niemanden zwingen", sagt Kauder. Doch jeder solle sich einmal mit der Frage auseinandersetzen. "Das halte ich für zumutbar."

Einer früheren Umfrage zufolge ist die Sorge vor einem missbräuchlichen Organhandel weit verbreitet. Viele befürchten zudem, dass die Ärzte weniger lebensrettende Maßnahmen durchführen könnten, wenn der Betroffene einen Spenderausweis besitzt. Weitgehend unbekannt ist auch die Tatsache, dass neben besonderen familiären Konstellationen wie im Falle Steinmeiers nur Menschen für eine Organspende in Betracht kommen, bei denen ein Hirntod, also der unwiederbringliche Ausfall aller Hirnfunktionen vorliegt. Damit reduziert sich die Zahl der potenziellen Spender von vornherein auf ein Minimum.

Kauder will den Weg für einen möglichst einvernehmlichen Gesetzesbeschluss noch in diesem Jahr ebnen. Der Koalitionspartner FDP will sich das Entscheidungsprozedere jedoch offen halten. In der Fraktion gibt es nämlich auch Stimmen für die so genannte Widerspruchslösung, wie sie in Spanien praktiziert wird. Dabei müssen die Bürger einer Organentnahme ausdrücklich widersprechen, um ihr zu entgehen. "Uns ist wichtig, dass wir niemanden zwingen."

Unions-Fraktionschef Volker Kauder

Meinung

Der Zwang, Farbe zu bekennen

Von SZ-Redakteur

Daniel Kirch

Endlich kommt Bewegung in die Diskussion. Tausende kranke Menschen auf den Wartelisten müssen jedes Jahr sterben, weil Ärzte kein Spenderorgan für sie finden. Man darf das ruhig einen Skandal nennen, wenn man die Zahl derer sieht, die von einem Organspendeausweis nichts wissen wollen oder das Thema aus Bequemlichkeit verdrängen. Niemand setzt sich gerne mit dem eigenen Tod auseinander, das ist allzu menschlich. Von einem erwachsenen Menschen darf man aber erwarten, dass er irgendwann in seinem Leben Farbe bekennt, ob er im Fall seines Todes mit einer Entnahme von Organen einverstanden wäre. Zumal derselbe Mensch wohl kaum ein Problem damit hätte, sich bei einer Krankheit selbst mit einem fremden Organ retten zu lassen. Freiwillig erklären sich zu wenige - jetzt ist der Gesetzgeber am Zug.

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