Wenn eine Droge zur Medizin wird

Köln · Sie sind krank und dürfen deshalb Cannabis konsumieren. Doch das Mittel ist teuer, wenn man es in der Apotheke kauft. Ein Gericht hat entschieden, dass die Betroffenen es künftig selbst anbauen dürfen.

 Cannabis ist in Deutschland nur unter sehr strengen Bedingungen als Medizin erlaubt. Foto: Fotolia

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Klingt unspektakulär, was der Kölner Verwaltungsrichter mit leiser Stimme verliest, tatsächlich ist es eine kleine Sensation. Fünf Schwerkranke wollen Cannabis zur schmerzlindernden Therapie in der eigenen Wohnung anbauen. Sie haben gegen ein Behördenverbot geklagt. Drei von ihnen sind - überraschend und unerwartet - erfolgreich. Das Gericht entscheidet nicht nur: Die zuständige Genehmigungsbehörde in Bonn muss ihre drei Fälle erneut prüfen. Sondern auch - und hier liegt die wahre Premiere: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) muss die Eigenproduktion in diesen Einzelfällen erlauben. Ein Urteil, das große Wirkung haben und viele weitere Klagen bedeuten könnte.

Zwar bekommt das BfArM noch Spielräume in Einzelfragen. Es kann zusätzliche Sicherungsmaßnahmen in den Privatwohnungen verlangen oder bei den Umständen des Hanfanbaus Forderungen stellen. Aber die Behörde darf dabei keine gewaltigen, unzumutbaren Hürden aufbauen, stellt das Gericht klar. Also: Die Maßnahmen - etwa zur Einbruchsicherung - müssen in einem "vernünftigen Verhältnis zu der Gefahr stehen, die von Cannabis ausgeht", erläutert der Vorsitzende Richter Andreas Fleischfresser . Und die seien nicht allzu groß, verglichen zum Beispiel mit Chemikalien oder Waffen.

Die Kläger sind nicht gekommen. Die drei Erfolgreichen unter ihnen dürften aber sehr erleichtert sein, auch wenn noch Berufung gegen das Urteil möglich ist - und auch wahrscheinlich. Die fünf Männer zwischen 34 und 61 Jahren leiden seit langem unter Schmerzen . Zwei hatten einen Verkehrsunfall, zwei kämpfen mit Multipler Sklerose, einer hat unter anderem die Aufmerksamkeitsstörung ADHS. Sie haben eine lange Therapie hinter sich, nichts hilft, nur Cannabis lindert ihre Beschwerden, wie auch Ärzte bescheinigen. Sie wollen die illegale Droge im Gäste-WC oder in einem Abstellraum anbauen. Das Kraut rauchen sie oder verarbeiten es zu Butter und Keksen.

Für Eugen Brysch, Vorsitzender der Stiftung Patientenschutz, ist es eine gute Entscheidung. Aber trotzdem nicht der beste Weg. "Die Plantage daheim für jeden Schwerkranken kann nicht die Lösung sein", sagt er. "Es kann jetzt nach dem Kölner Urteil auch jede Woche eine neue Klage geben." Brysch plädiert für "vernünftige" Preise für Apotheken-Cannabis und eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele ist hocherfreut über das Cannabis-Urteil. "Es ist traurig, dass die Gerichte herangezogen werden müssen, weil der Gesetzgeber dazu den Mut bisher nicht aufgebracht hat", sagt er und weist darauf hin, dass in mehr als 20 US-Bundesstaaten Cannabis für gesundheitliche Zwecke freigegeben sei, in zwei Staaten könne die Droge sogar völlig frei erworben werden. "Wir brauchen dringend in Deutschland eine Diskussion darüber, dass Cannabis endlich legalisiert wird", fordert der Grünen-Politiker, der bereits 2002 mit der Forderung "Gebt das Hanf frei! Und zwar sofort!" bei einer Demonstration in Berlin für Aufsehen gesorgt hat.

Richter Fleischfresser kritisiert die Politik. Dass die "Notlösung" Cannabis-Anbau nun in drei Fällen ausnahmsweise erlaubt werde, habe mit einem Missstand zu tun: das Kostenproblem. "Das zu lösen, wäre für den Gesetzgeber eigentlich ein Leichtes." Die Krankenkassen könnten verpflichtet werden, für Cannabiskraut aus den Apotheken die Kosten zu übernehmen. Fleischfresser moniert weiter: Das BfArM habe den Klägern den Kauf aus der Apotheke erlaubt und die schmerzlindernde Wirkung ausdrücklich anerkannt. Nur rund 270 Patienten bundesweit haben derzeit überhaupt eine solche Erlaubnis. Die Konsum-Genehmigung sei "aber de facto wertlos", wenn das Medizinalkraut unerschwinglich für die Patienten bleibe, sagt der Kölner Richter. Ein Patient hatte von 800 bis 1000 Euro Kosten monatlich gesprochen. Er verdiene aber netto bloß 1500 Euro.

Das BfArM sieht erhebliche gesundheitliche Risiken beim Do-It-Yourself-Cannabis-Anbau. Über- oder Unterdosierung, schlecht kontrollierte Wirkstoffzusammensetzungen. Ob sie vor das Oberverwaltungsgericht in Münster zieht - dazu äußert sich die Behörde am Tag des aufsehenerregenden Urteils zunächst nicht. Allerdings liegt ihr die ausführliche Begründung auch noch nicht vor.

Das Urteil helfe den Schmerzpatienten, lobt eine Hamburger Kanzlei, die einen der Kläger vertritt. Auf eine schnelle höchstrichterliche Klärung sei zu hoffen. Beim Bundesverwaltungsgericht liegt noch der parallele Fall eines anderen Klägers, der seit Jahren um eine Anbau-Erlaubnis kämpft. Auch bei den Kölner Streitfällen könnte das Gericht in Leipzig am Ende das letzte Wort haben.

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HintergrundDas einzige in Deutschland zugelassene Medikament auf Cannabis-Basis ist - seit 2011 - Sativex. Darüber hinaus dürfen schwer kranke Menschen nur unter engen Voraussetzungen ausnahmsweise getrocknete Blüten oder auch Extrakte aus Blüten und Blättern über die Apotheken beziehen. Dafür brauchen sie eine Genehmigung des Bonner Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Bundesweit besitzen nur 272 Patienten eine solche Kauf- und Konsumerlaubnis.Den Inhaltsstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) wird eine schmerzlindernde, entzündungshemmende, appetitanregende und krampflösende Wirkung zugeschrieben. Cannabis wird unter anderem zur Behandlung chronischer Schmerzen , bei Krebs- und Aidspatienten , bei Rheuma und bei spastischen Schmerzen bei Multipler Sklerose eingesetzt. dpa/afp

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