Wenn die Spritze des Pflegers den Tod bringt

Berlin/Saarbrücken · Wenn Pflegekräfte zu Mördern werden, steht die Klinik mit dem Rücken zur Wand. Warum hat niemand etwas gemerkt? Auch im Saarland geht es um die Frage, wie sich Fälle wie in Delmenhorst verhindern lassen.

 In einem Seniorenzentrum in Elversberg starben 2012 zwei Patienten nach Misshandlungen durch Pfleger. Foto: Becker&Bredel

In einem Seniorenzentrum in Elversberg starben 2012 zwei Patienten nach Misshandlungen durch Pfleger. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

In Dresden ermordet eine Krankenschwester Patienten mit zu hoch dosiertem Insulin. Lebenslange Haft lautet das Urteil 2010. Auch der "Todespfleger von Sonthofen" muss 2006 lebenslang ins Gefängnis, weil er Klinikpatienten zu Tode spritzte. Und in Spiesen-Elversberg sterben 2012 zwei Menschen in einem Seniorenzentrum. Über Monate hatten zwei Pfleger die Patienten auf der Beatmungsstation "Sonnenschein" misshandelt. Was unvorstellbar klingt, geschieht immer wieder.

Das zeigt der laufende Prozess gegen einen ehemaligen Pfleger im niedersächsischen Delmenhorst , wo heute das Urteil erwartet wird. Lassen sich solche Taten nicht früher erkennen? Es sind Fragen, die Krankenhäuser und Heime umtreiben. Seit April 2014 ist das interne Melden von Beinahe-Unfällen über das "CIRS-System" für Kliniken gesetzlich vorgeschrieben. Manche Häuser versuchen, zusätzlich Frühwarnsysteme aufzubauen, um es Whistleblowern (etwa: Tippgebern) einfacher zu machen, die auf mögliche Straffälle hinweisen wollen.

Auch im Saarland sind die Kliniken sensibel geworden, nicht erst seit den Misshandlungen in Spiesen-Elversberg. "Wenn Kolleginnen und Kollegen Unregelmäßigkeiten feststellen, sind sie dazu angehalten, das unverzüglich zu melden. Die Klinikleitungen gehen jeder Spur nach", sagt Thomas Jakobs, Geschäftsführer der Saarländischen Krankenhausgesellschaft. Auch wenn ihm in der jüngeren Vergangenheit keine Fälle bekannt wurden.

Im Zentrum der Patientensicherheit stünden die Mitarbeiter selbst, heißt es am Saarbrücker Winterberg-Klinikum. Deshalb versucht die Klinikleitung, die Mitarbeiter zu mehr Achtsamkeit anzuregen. "Gerade auf der Intensivstation arbeitet man sehr eng zusammen. Wenn da eine Wesensveränderung auffällt, schrillen bei uns sofort die Alarmglocken. Dann können wir auf die Mitarbeiter zugehen. So lassen sich solche Fälle fast ausschließen", sagt Pflegedirektorin Sonja Hilzensauer. Zudem können Pfleger, Ärzte und Angehörige von Patienten einen sogenannten Ethik-Kreis anrufen. "Wenn es Fälle gibt, in denen ethische Fragen auftauchen, kann sich jeder dorthin wenden. Dort sind Chefärzte, Stationsleitungen und Seelsorger vertreten, die für solche Situationen geschult sind", erklärt Hilzensauer.

Absolute Sicherheit ist aber nie möglich. Und einmal verlorenes Vertrauen lässt sich nur schwer wieder aufbauen. Die Berliner Charité etwa, die heute in Ranglisten zur Patientensicherheit sehr gut dasteht, durchlief vor acht Jahren eine Reputationskrise: Auch hier hatte eine Krankenschwester fünf schwerstkranken Patienten Medikamente verabreicht, die zum Tod führten. Weder die Kranken noch Angehörige hatten um Sterbehilfe gebeten.

Mögliche frühe Indizien durch das Pflegepersonal seien damals nicht zu einem Gesamtbild zusammengetragen worden, resümiert Jan-Steffen Jürgensen, der heutige Leiter des Qualitäts- und Risikomanagements der Charité . Mit fatalen Folgen: Bis die Zusammenhänge klar waren, brachte die Schwester drei weitere Patienten um. Das Urteil lautete auf Mord und lebenslange Haft. In der Begründung fand sich ungewöhnlich harsche Kritik am Klinikum.

Heute gibt es an der Charité mehrere Frühwarnsysteme, die Ärzte, Mitarbeiter und Patienten nutzen können - auch anonym. Eines davon, das "Vertrauenstelefon", ist direkt ein Ergebnis des Skandals von 2007. Die Leitung führt zu einem Rechtsanwalt, der sich das Anliegen anhört. "Dieses Angebot wird rund zwei- bis dreimal im Jahr genutzt", sagt Jürgensen.

Auch am Klinikum Oldenburg, wo der jetzt vor Gericht stehende Pfleger ebenfalls arbeitete und wo derzeit 20 unklare Todesfälle überprüft werden, ist vieles umgekrempelt worden - unter anderem sind hier Kalium-Infusionen heute blau eingefärbt, um sie keinesfalls mit den harmlosen Kochsalzlösungen zu verwechseln. In Delmenhorst ist das Überwachungs-System um spezielle Todesfall-Prüfungen erweitert worden. Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen sind in Planung.

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