Wenn die Praxis zum Patienten kommt

Winnigstedt · Einen Hausarzt gibt es in vielen Orten auf dem Land längst nicht mehr. Der Weg zur nächsten Praxis ist gerade für ältere Menschen beschwerlich. In einer Region in Niedersachsen soll jetzt eine „rollende Arztpraxis“ Abhilfe schaffen.

Hier lässt es sich leben: In der sanften Hügellandschaft des Kreises Wolfenbüttel mit seinen schmucken Dörfern scheint die Welt noch in Ordnung. Beim zweiten Blick auf Orte wie Winnigstedt fallen aber die seit Jahren geschlossenen Geschäfte auf. Im Gespräch mit den zumeist älteren Bewohnern ist zu erfahren, dass auch die letzte Arztpraxis vor Jahren dichtgemacht hat. Nicht nur in Niedersachsen, auch bundesweit fehlen auf dem Land Mediziner. Gleichzeitig werden die Menschen immer älter. In sechs Dörfern im Kreis Wolfenbüttel soll daher nun ein Projekt Abhilfe schaffen: Die "rollende Arztpraxis".

Eigentlich ist es ganz simpel: Ein Mediziner fährt mit einem als kleine hausärztliche Praxis ausgestatteten Transporter über die Dörfer, hält an Gemeinschaftshäusern, Kindergärten oder Rathäusern, um Wasser und Strom zu beziehen. Auch Wartemöglichkeiten für die zumeist älteren Dorfbewohner gibt es. Die Patienten können sich untersuchen lassen, Rezepte oder Überweisungen bekommen. Eine mobile Arztpraxis also. Doch von der Finanzierung über den Abrechnungsmodus bis hin zum Widerstand der niedergelassen Ärzte gab es etliche Hürden. "Wir spielen hier ein Stück Zukunft", sagt Jörg Röhmann (SPD), Staatssekretär im Gesundheitsministerium in Hannover. Er hat das Projekt mit auf den Weg gebracht. Die Idee komme aus der Schweiz. In Deutschland gebe es noch kein vergleichbares Modell.

Ohne die Hilfe etlicher Partner wäre die "rollende Arztpraxis" wohl nicht denkbar gewesen. Das Land fördert das Projekt mit etwa 30 000 Euro. Der Landkreis ist der Halter des Fahrzeugs, und die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) stellt zunächst die Personalkosten. VW hat die rollende Praxis samt Ausrüstung gestiftet, auch Krankenkassen wie die AOK oder BKK sind mit an Bord. "Die niedergelassenen Ärzte reagierten verhalten", erzählt KVN-Vorstand Mark Barjenbruch. Er hofft, die Bedenken ausgeräumt zu haben: Die Patienten können bei ihrem Hausarzt bleiben, müssen aber nicht für jeden Arztbesuch den weiten Weg auf sich nehmen. Eine eigens entwickelte Software soll den Austausch zwischen den mobilen Ärzten und dem Hausarzt sicher und schnell machen.

Ute Heider denkt noch weiter. Die 58-Jährige ist Bürgermeisterin des 460-Einwohner-Dorfes Roklum, eines der sechs Dörfer, die angefahren werden. "Ich möchte das zum Treffpunkt ausbauen", sagt die SPD-Lokalpolitikerin. Da es schon längst rollende Lebensmittelläden gibt, sollen diese zum selben Zeitpunkt das Dorf anfahren.

"Noch gibt es in Niedersachsen keine Unterversorgung", sagt Barjenbruch. Auf 1700 Bürger komme durchschnittlich ein Arzt. In einzelnen Regionen fehlen aber Mediziner. Selbst günstiges Bauland oder andere Anreize helfen nicht - aufs Land zieht es viele Ärzte nicht. Ein Grund ist die Arbeit an Abenden und an Wochenenden. Auch da soll die "rollende Praxis" helfen: Auf Wunsch können Hausbesuche übernommen werden.

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HintergrundDie rollenden Arztpraxen finden nicht nur in Niedersachsen Anklang. Auch hierzulande gibt es Zuspruch. So beispielsweise von Gunter Hauptmann, dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland. Er sagt: "Die rollenden Praxen sind eine wirklich gute Idee." Es müsse aber sichergestellt werden, dass ein festes Team mit Ärzten und Arzthelferinnen durchs Land tingelt und immer feste Standorte zu festen Zeiten angefahren werden. "Sonst wirkt es wie eine Notversorgung." Zurzeit und in naher Zukunft seien fahrende Praxen aber "keine Lösung fürs Saarland", findet Hauptmann. Die Erreichbarkeit von Ärzten sei auch in Landstrichen im nördlichen Teil des Bundeslandes gewährleistet. So könnten die gut eine Million Euro teuren Gefährte kaum "wirtschaftlich" betrieben werden. pbe

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