Wenn die Kirschblüte für immer verblüht

Toemon Sano macht ein sorgenvolles Gesicht. Behutsam hält der 86-jährige Japaner die Hand über eine zarte Kirschblüte.

"Der Klimawandel lässt die Bäume immer früher blühen. Ihre Farbe wird blasser, sie haben nicht mehr die Energie", beklagt der Gärtner. Seit Generationen dient seine Familie in der alten Kaiserstadt Kyoto als "Wächter" über die Kirschblüten. Doch das berühmteste Symbol der japanischen Kultur ist bedroht. "Wenn der Klimawandel so weiter geht, ist das Überleben der Kirschbäume in einigen Regionen in Gefahr", sagt Sano. Japan ohne Kirschblüten?

Was der alte Mann bei einer Veranstaltung der Umweltstiftung WWF in Yokohama in einer Videobotschaft beklagt, ist dramatisch. Doch es verblasst beinahe wie die Kirschblüten angesichts dessen, worüber Hunderte von Forschern und Vertreter von Regierungen in den vergangenen Tagen nur einen Steinwurf entfernt bei der Tagung des Weltklimarates IPCC debattiert haben. In dem Bericht, den die Delegierten gestern präsentierten, geht es um Folgen des Klimawandels von noch viel schlimmerem Ausmaß. Häufigere Hochwasser, Dürreperioden, schmelzende Gletscher und wärmer und saurer werdende Ozeane drohen zu schweren sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Verwerfungen zu führen. Die Forscher sehen aber noch Chancen für die Menschheit, die Erderwärmung auf zwei Grad zu bremsen und sich an die ohnehin unvermeidliche Temperaturerhöhung anzupassen.

"Wir können nicht länger wählen zwischen Verringerung des Treibhausgasausstoßes und Anpassung. Wir brauchen beides", mahnt Kaisa Kosonen von Greenpeace International. Damit fasst sie zusammen, was die Autoren des zweiten Teils des fünften Weltklimaberichtes nach der Analyse tausender Studien zu Papier gebracht haben. Dennoch hat die Klimaschützerin Hoffnung: "Eine wachsende Zahl an Menschen, Gemeinschaften, Unternehmen und Investoren in der ganzen Welt bewegt bereits etwas, indem sie zu sauberer und sicherer erneuerbarer Energie übergehen und Regierungen auffordern, ihnen beizustehen."

Mögliche Auswirkungen des Klimawandels treffen in einigen Jahren keineswegs auf dieselbe Erde wie heute: Die Zahl der Menschen steigt, und sie rauben nicht nur vielen anderen Arten immer mehr Lebensraum, sondern beuten auch die Meere aus. Es gebe nicht nur Klimasignale, sondern auch gesellschaftliche Risikofaktoren, sagt Joern Birkmann von der Universität der Vereinten Nationen in Bonn. Besonders schwer könne es ärmere Menschen treffen. So hätten etwa die Menschen auf den Philippinen nicht genug Kraft und Geld, nach verheerenden Stürmen immer wieder neu anzufangen. Der Report verweist auch auf die Gefahr von Konflikten zwischen Menschen durch den Klimawandel.

Für viele Menschen sei der Klimawandel ein langsamer Prozess, doch erdgeschichtlich betrachtet geschehe dabei vieles sehr rasch, sagt Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. "Wir müssen uns klar darüber werden, dass wir heute noch Entscheidungsoptionen haben, dass wir ein Zeitfenster haben vielleicht von 20 Jahren, in dem wir darüber befinden, wie nachfolgende Generationen das Klima auf dieser Erde erleben werden."

"Die Bäume können sich nicht aussuchen, wo sie stehen", sagt Toemon Sano und blickt besorgt auf seine auch dieses Jahr zu früh erblühten Kirschbäume. Um ihr Überleben zu sichern, hat er Ableger von Baumarten aus ganz Japan in seinem eigenen Garten gepflanzt. "Doch nur die Bäume vor unseren Augen zu schützen, ist sinnlos. Ist es nicht unsere Lebensweise, unser gedankenloser Konsum und Wegwerf-Lebensstil, was sich ändern muss?"

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HintergrundIn der Ostsee hat sich die Fläche der sauerstoffarmen Todeszonen im vergangenen Jahrhundert mehr als verzehnfacht. Sie wuchs zwischen 1898 und 2012 von 5000 auf 60 000 Quadratkilometer an. Das berichtet ein dänisch-schwedisches Forscherteam in den "Proceedings" der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften. Ursachen seien die Erwärmung des Wassers und vor allem der Eintrag von Nährstoffen etwa aus der Landwirtschaft. dpa

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