Wenn der Atommüll seine Strahlen verliert"Wir wollen, dass die Bahn grüner wird"

Brüssel/Mol. Wenn auf den Strecken nach Lubmin oder Gorleben Polizeibeamte angekettete Demonstranten von den Gleisen schweißen, träumen die Forscher im belgischen Mol und in Karlsruhe von einer neuen Zukunft: Kernkraft nahezu ohne Atommüll. Recycling auch für den gefährlichsten Abfall, den Menschen heute produzieren

 In Halle 8 des atomaren Zwischenlagers Nord in Lubmin lagern 65 Castorbehälter mit Atommüll. Wissenschaftler arbeiten daran, den hochradioaktiven Abfall durch ein spezielles Recycling-Verfahren weitgehend unschädlich zu machen. Foto: dpa

In Halle 8 des atomaren Zwischenlagers Nord in Lubmin lagern 65 Castorbehälter mit Atommüll. Wissenschaftler arbeiten daran, den hochradioaktiven Abfall durch ein spezielles Recycling-Verfahren weitgehend unschädlich zu machen. Foto: dpa

Brüssel/Mol. Wenn auf den Strecken nach Lubmin oder Gorleben Polizeibeamte angekettete Demonstranten von den Gleisen schweißen, träumen die Forscher im belgischen Mol und in Karlsruhe von einer neuen Zukunft: Kernkraft nahezu ohne Atommüll. Recycling auch für den gefährlichsten Abfall, den Menschen heute produzieren. Eine Milliarde Euro lassen sich der belgische Staat und die Europäische Union die Grundlagenforschung kosten, die frühestens 2023 in Betrieb gehen kann.

Endlager weiter nötig

Was sie bewirken würde, beschreibt Professor Thomas Schulenberg vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT, früher Atomforschungszentrum) so: "Durch Transmutation reduziert sich die Zeit, in der der Müll eine Gefahr ist, von 170 000 auf allenfalls 500 Jahre." Endlager, deren Standorte und Konzeption die Brüsseler Kommission von den Mitgliedstaaten binnen vier Jahren eingefordert hat, wären zwar weiter nötig. Aber nicht mehr über letztlich unübersehbare geologische Zeitalter hinweg. Chef der Grundlagenforschung in Karlsruhe, die in Mol bei Antwerpen erstmals im großen Stil erprobt werden soll, ist der 47-jährige deutsche Ingenieur Joachim Knebel. "Wir haben in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass es geht und wie es geht", sagt er. Das schlimmste Problem beim Atommüll sind die so genannten Transurane, also neue Elemente wie Plutonium, Americium, Neptunium und Curium, die im Reaktor entstehen. Sie sind nicht nur extrem gefährlich (ein Millionstel Gramm Plutonium in der Lunge reicht aus, um Krebs zu erzeugen), sie strahlen auch bis weit in die Zukunft: Plutonium-239 beispielsweise besitzt eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren. In dem gewaltigen Atommüll-Schredder in Belgien will man nun die Stoffe mit Neutronen beschießen und so in kurzlebigere Elemente aufspalten. Plutonium-239 zerfällt bei diesem Prozess in Cäsium-134 (Halbwertszeit zwei Jahre) und in das nichtradioaktive Ruthenium-104. Außerdem wird jede Menge Wärme frei, die man wiederum zur Stromerzeugung nutzen könnte. Ein Prozess, der weitgehend gefahrlos verläuft, weil das Problem der Kernschmelze nicht mehr existiert. Sobald man den Protonenstrahl auf den Atommüll abschaltet, hört auch der Prozess auf. Eine Kettenreaktion findet nicht statt.

Weltweit ist die Kernenergie wieder im Kommen, Frankreich deckt seinen Strombedarf schon heute zu 80 Prozent aus Atomkraft, global stammen 14 Prozent des Stroms aus der Kernspaltung. 2030 werden neue Atommeiler der jüngsten Generation ans Netz gehen. Einige sollen den eigenen und sogar fremden Abfall im laufenden Betrieb verbrennen können. Andere Anlagen könnten den bereits angefallenen Müll entschärfen. Bevor Gorleben wirklich leerer werden kann, sind aber noch viele Herausforderungen zu bestehen. Dazu gehört die vollständig andere Behandlung des Atommülls.

In Glas eingeschmolzen

Bisher werden in der Wiederaufarbeitungsanlage im französischen La Hague lediglich Uran und Plutonium herausgewaschen, in Glas eingeschmolzen und dann in Castor-Behältern abtransportiert. Um mit dem Transmutationsverfahren wirklich Erfolg zu haben, müsste man auch das tausende Jahre strahlende Americium abtrennen. Ob die neuen Aufbereitungsanlagen politisch durchsetzbar sind, ist umstritten. Berlin. Bei der Deutschen Bahn kann man die Aufregung nicht verstehen. Gelfo Kröger von der DB Energie betont, die Bahn sei der falsche Adressat für die Greenpeace-Kritik, die Bahn setze zu stark auf Atomkraft. Schließlich decke der Konzern bereits 18,5 Prozent seines Energiebedarfs mit grünem Strom ab. Bis 2020 soll bei der Bahn der Ökoenergie-Anteil auf 30 Prozent steigen. So hat die Bahn jüngst langjährige Verträge mit zwei Windparks in Brandenburg abgeschlossen.

Handelt es sich um eine durchsichtige Kampagne der Umweltschützer von Greenpeace, um das Atom-Thema wieder etwas in den Fokus zu rücken? Schließlich ist mangels sinnvoller Alternativen bei allen Konzernen der Atomanteil weiterhin hoch. Die Industrie betont, dass Kohle- und Atomkraftwerke grundlastfähig sind, also kontinuierlich Strom liefern. Weil es bisher keine ausreichenden Speicherkapazitäten gebe, um zu viel Wind- oder Sonnenenergie zu speichern und so Schwankungen auszugleichen, sei die in ihrer Produktion zu 100 Prozent planbare Kernenergie vorerst unverzichtbar, betont RWE-Vorstand Gerd Jäger.

Keineswegs sei die Kritik polemisch und zu einseitig gegen die Bahn gerichtet, wehrt Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl ab. "Die Bahn ist nicht nur das größte staatliche Unternehmen in Deutschland, sie ist auch der größte Stromverbraucher", sagt Riedl. Seit zwei Jahren sei man mit der Bahn im Dialog, aber es habe sich kaum etwas geändert. Und Greenpeace stößt auf, dass Bahnchef Rüdiger Grube seinerzeit den "Energiepolitischen Appell" mitunterzeichnet hat, mit dem in Zeitungen auch für längere Atomlaufzeiten geworben wurde.

Die Bahn besitzt ein eigenes Stromnetz, das rund 7750 Kilometer lang ist. Mehr als 25 000 Züge können so täglich bewegt werden. Die Bahn bezieht rund 75 Prozent des Stroms aus Kraftwerken mit festen Abnahmeverträgen, beim EnBW-Atomkraftwerk Neckarwestheim I gibt es eine eigene Turbine für Bahnstrom.

Der nächste Castor-Transport nach Gorleben besteht nach Angaben von Greenpeace rechnerisch komplett aus Atommüll der Deutschen Bahn. 110 Tonnen radioaktiven Müll habe die Bahn bisher allein in Neckarwestheim verursacht. "Auch weiterhin investiert die Bahn in Kohle und Atom", kritisiert Riedl. So etwa in den Neubau eines Umrichterwerks am AKW-Standort Neckarwestheim, sagt Riedl. Hier zahlt die Bahn laut eigenen Angaben 9,4 Millionen der Kosten von 46,5 Millionen Euro. Der Rest komme aus dem Konjunkturpaket II des Bundes.

71 Prozent gaben laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Greenpeace an, dass sie nicht wussten, dass viele Bahnzüge mit Atomstrom fahren. Aber, dass der Atomstromanteil bei der Bahn 2009 etwa 25 Prozent und 2010 nach vorläufigen Berechnungen 16 Prozent betragen hat, kann eigentlich niemanden überraschen, wird doch auch insgesamt ein Viertel des deutschen Stroms in den 17 Atomkraftwerken erzeugt. Und: Wie auch beim Strom von Bürgern und Industrie in Deutschland kommt auch bei der Bahn ohnehin mit mehr als 40 Prozent der meiste Strom aus Kohlekraftwerken.

Einen Bahn-Boykott will man nicht, sagt Riedl. "Wir wollen nur, dass die Bahn grüner wird." "Auch weiterhin investiert die Bahn in Kohle und Atom."

Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl

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