Wenn besser doch nicht gut genug ist

Mehr Medaillen als in Peking, aber mehr Fragen denn je zur Zukunft des Spitzensports - die deutsche Olympia-Mannschaft und die Führung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gehen heute in London mit gemischten Gefühlen an Bord der "MS Deutschland" mit Kurs Hamburg

Mehr Medaillen als in Peking, aber mehr Fragen denn je zur Zukunft des Spitzensports - die deutsche Olympia-Mannschaft und die Führung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gehen heute in London mit gemischten Gefühlen an Bord der "MS Deutschland" mit Kurs Hamburg. Statt die verbesserte Medaillenausbeute im Vergleich zu den Olympischen Spielen 2008 feiern zu dürfen, steht die DOSB-Spitze um Präsident Thomas Bach und Generaldirektor Michael Vesper im Brennpunkt einer Diskussion um Defizite, Strukturen und Reformen im deutschen Leistungssport.In Erklärungsnot geriet das Führungs-Duo besonders durch die erstmalige Veröffentlichung der vor vier Jahren getroffenen internen Zielvereinbarungen zwischen dem DOSB und seinen Fachverbänden. Darin wurde festgehalten, dass bei idealem Verlauf 86 Medaillen - davon 28 Mal Gold - möglich seien. "Wir diskutieren jetzt darüber, warum wir nicht 86 Medaillen erreicht haben, statt uns darüber zu freuen, dass wir mehr Medaillen als in Peking bekommen haben", klagte Chef de Mission Vesper. Das mache ihn "ein wenig ratlos. Das halte ich für neben der Sache." Bach räumte Kommunikationsdefizite ein. Man müsse eingestehen, "dass wir uns mit dem Namen Zielvereinbarung vergriffen haben", meinte er. "Das sollten in Zukunft besser Fördervereinbarungen sein." Es gehe darum, vier Jahre vor Spielen ein abstraktes Potenzial zu identifizieren.

Bei der Abschlussbilanz in London hätten er, Vesper und DOSB-Leistungssportdirektor Bernhard Schwank lieber über andere Zahlen als die aus den Zielvereinbarungen gesprochen: Denn die deutsche Mannschaft stoppte den seit den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona (82 Medaillen) anhaltenden Negativtrend und holte erstmals seit 20 Jahren mehr Medaillen als bei den vorherigen Sommerspielen. "Dass sie im härtesten Wettbewerb aller Zeiten mehr Medaillen als in Peking hat, hätte ich nicht erwartet", sagte Sportchef Bach. Team D sammelte 44 Mal Edelmetall (11 Gold/19 Silber/14 Bronze). In Peking waren es nur 41 Medaillen (16/10/15). Eines wurde an der Themse aber auch deutlich: Andere Länder - vor allem aus Asien - haben aufgeschlossen und setzen zum Überholen an. Die Supermächte USA und China schweben für Deutschland ohnehin längst in einem anderen Sport-Universum. Olympia-Gastgeber Großbritannien und Russland waren ebenfalls außer Reichweite. Bach versprach eine umfassende Prüfung des Fördersystems. Diese werde bei einigen Verbänden und Disziplinen kritisch ausfallen.

Laut den Zielvereinbarungen erfüllten von den 23 in London vertretenen Sportarten die Leichtathletik, Tischtennis und Kanuslalom ihre optimistischen Hoffnungen. Große Verlierer sind Schwimmer, Fechter, Schützen und Segler. Mit Konsequenzen wie Mittelkürzungen haben die Verbände vorerst nicht zu rechnen. Vesper betonte, man müsse jetzt herausfinden, was zu tun sei, um die Situation zu verbessern. Von diesem nach Peking eingeführten System haben zum Beispiel die Leichtathleten profitiert, sagte Schwank. Sie hatten in Athen 2004 nur zwei, in Peking nur eine Medaille gewonnen. In London waren es acht.

Doch gerade aus dem Deutschen Leichtathletik-Verband kommt Kritik zu den Zielvereinbarungen. Man könne nicht steuern, "wie stark die Athleten anderer Länder sind, gegen die unsere Sportler antreten müssen", sagte Präsident Clemens Prokop. Sein Amtskollege vom Deutschen Kanuverband, Thomas Konietzko, bezeichnete die Debatte um Zielvereinbarungen als "Phantomdiskussion". Er kann in die Gespräche mit dem DOSB gelassen gehen: Mit dreimal Gold, einmal Silber und zweimal Bronze steht er dem erfolgreichsten deutschen Fachverband vor.