Wenn Ärzte tödliche Fehler machen

Berlin. Ein stechender Schmerz im Bauch, der auf Oberkörper, Arme und Kopf ausstrahlte. So ging ein 45-Jähriger zum Notarzt. Der Arzt veranlasste ein EKG und ließ den Mann wieder nach Hause gehen. Zwei Tage später kam der Mann erneut. Der Arzt schickte den Patienten per Privatauto ins Krankenhaus

 Operationen bergen hohe Infektionsgefahren - mit teilweise tödlichen Folgen. Foto: dpa

Operationen bergen hohe Infektionsgefahren - mit teilweise tödlichen Folgen. Foto: dpa

Berlin. Ein stechender Schmerz im Bauch, der auf Oberkörper, Arme und Kopf ausstrahlte. So ging ein 45-Jähriger zum Notarzt. Der Arzt veranlasste ein EKG und ließ den Mann wieder nach Hause gehen. Zwei Tage später kam der Mann erneut. Der Arzt schickte den Patienten per Privatauto ins Krankenhaus. Hinterher gaben Gutachter dem Patienten Recht: Schon das erste EKG gab Hinweise auf einen Herzinfarkt - der Mann hätte sofort mit Blaulicht in die Klinik gebracht werden müssen. Immerhin: Er überlebte.Nun legt eine Statistik nahe: Anscheinend kommen mehr Menschen durch Ärztepfusch ums Leben. Experten versuchen aber zu beschwichtigen: Weil sich das Meldewesen verbessert hat, werden mehr Fälle erfasst.

2010 starben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 1634 Patienten in Kliniken durch Behandlungsfehler und mangelhafte Medizinprodukte - rund ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Häufigste Ursache war schlechte Hygiene. Allein darauf führt die Statistik 434 Fälle zurück. Um eine mangelhafte Desinfektion ging es zuletzt beim Tod mehrerer Frühchen in einem Bremer Klinikum. Komplikationen gab es auch durch den Einbau künstlicher Geräte (121 Todesfälle). Darüber hinaus fanden 61 Patienten den Tod, weil Operationswunden schlecht vernäht wurden. Nach Einschätzung von Patientenorganisationen handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs. Ihren Angaben zufolge gibt es jährlich 17 000 Todesfälle durch ärztliche Behandlungsfehler. Dem widerspricht der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU). Diese Zahl basiere auf Hochrechnungen aus den USA und sei daher mit Vorsicht zu genießen, sagte Zöller der SZ.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, suchte die Gemüter gestern zu beruhigen. Jeder Mensch, der durch einen ärztlichen Behandlungsfehler sterbe, sei einer zuviel, sagte er. Allerdings müssten die Ursachen der Todesfälle genau unter die Lupe genommen werden. "Ob man eine Erfassung von Verstorbenen auf der Basis von Totenscheinen zur Grundlage einer Erfassung von Todesfällen durch Ärztefehler und mangelhafte Produkte machen kann, daran haben wir große Zweifel." Die von den Schlichtungsstellen der Ärztekammern erhobenen Statistiken wiesen jedenfalls keine Trend-Änderungen auf. 2009 habe es demnach 46 entsprechende Todesfälle gegeben, 2010 seien es 41 und im Vorjahr 37 gewesen.

Doch ganz gleich, welche Statistik man zu Grunde legt, Tatsache ist, dass sich die Anzahl der Verfahren bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärzteschaft seit 2006 um rund zehn Prozent auf gut 11 000 im Jahr 2010 erhöht hat. An diese Stellen können sich Patienten bei vermuteten Behandlungsfehlern wenden.

Regierung hat reagiert

Die statistische Hauptursache der Todesfälle - mangelnde Sauberkeit - ist indes seit Jahren ein Problem. Die Bundesregierung hat darauf mit dem Krankenhaus-Hygienegesetz reagiert. Nach der im Vorjahr verabschiedeten Vorlage müssen die Krankenhäuser beispielsweise einen Hygienebeauftragten einstellen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft beklagt aber, dass den Einrichtungen die notwendigen Mittel dafür fehlten. "Die Leute müssen ausgebildet werden, aber anders als die Bahn können wir nicht die Ticketpreise erhöhen." So blieben die Kliniken auf den Kosten sitzen.

Dagegen fordert Zöller die Patienten auf, sich genau über die Zustände in den Einrichtungen zu informieren. "Es gibt die weiße Liste, auf der man im Internet nachschauen kann, welches Krankenhaus die niedrigsten Infektionsraten hat." Nach diesem Kriterium würden immer mehr Menschen ihre Klinik auswählen. Diese Transparenz sei wichtig. Ähnlich wie Ärztefunktionär Montgomery vermutet aber auch der Patientenbeauftragte, dass es sich bei den jüngst gestiegenen Todeszahlen um einen statistischen Effekt handelt: "Immer mehr Ärzte und Krankenhäuser gehen zu Fehlermeldesystemen über. Und damit werden auch viel mehr Fehler erfasst."

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