Wenigstens kein neuer Streit

Bratislava · Jede Krise ist auch eine Chance: Nach dem Brexit-Schock versuchen die restlichen EU-Mitglieder, sich zusammenzuraufen. Die größten Konflikte klammern sie bei ihrem Treffen in Bratislava aus.

Gelöst wurde nichts, aber ein Neuanfang ist gemacht. "Wir müssen besser werden", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag schon bei ihrer Ankunft beim Gipfeltreffen der 27 EU-Staats- und Regierungschef im slowakischen Bratislava als Ziel ausgegeben. Drei Monate nach der Brexit-Entscheidung aus Großbritannien stecke diese Union in einer "kritischen Phase". Wenigstens in der Einschätzung der Lage sind sich die Mitgliedstaaten einig. Der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel beschrieb sie besonders anschaulich: "Wer behauptet, es liefe in der EU alles gut, braucht eine neue Brille."

Doch die Geschlossenheit reichte in Bratislava , wo man zum ersten Mal ohne Großbritannien über die Zukunft der Union diskutierte, kaum weiter als bis zur Beschreibung der Krise; Ratspräsident Donald Tusk sprach sogar von einer "brutalen Analyse". Neues in Sachen Brexit verkündete der Ratspräsident nach dem Gipfel. Die britische Regierung werde wohl Anfang 2017 den Austritt aus der EU beantragen, sagte Tusk am Freitagabend. Die britische Regierungschefin Theresa May habe bei seinem Besuch in London kürzlich sehr offen darüber geredet, dass es fast unmöglich sei, den Austritt noch dieses Jahr zu beantragen.

Der Bratislava-Gipfel verschob Lösungen, weil man sich - wie es Parlamentschef Martin Schulz ausdrückte - lieber über das zusammenraufen wollte, "was eint, anstatt sich über das zu streiten, wo man unterschiedlicher Meinung" ist. "Agenda von Bratislava " heißt der Weg, der aus einer Folge von Gipfeltreffen besteht, um sich über Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, des Wirtschaftswachstums, der Jugendarbeitslosigkeit und den Kampf gegen den Terror verständigen will.

Spätestens am 25. März 2017, wenn man sich zum 60. Jahrestag der EU-Verträge von Rom in der italienischen Hauptstadt trifft, soll aus dem Fahrplan die Grundlage für eine "schlagkräftige und attraktive EU" geworden sein, wie es der slowakische Außenminister Miroslav Lajcák formulierte. Doch der Versuch der Gipfel-Regie, die zuletzt zerstrittenen Staats- und Regierungschefs bei einer fröhlichen Bootsfahrt auf der Donau harmonisch miteinander speisend zu zeigen, ging nicht wirklich auf. Schon am Morgen hatte Ungarns Premierminister Viktor Orbán noch einmal für die Einzäunung der Mitgliedstaaten gegen illegale Zuwanderer geworben. "Wenn es den USA gelingt, mit einer Sperranlage Einwanderung abzuhalten, sehe ich nicht, warum wir Europäer dazu nicht in der Lage sein sollten", erklärte er. Wenig später attackierte er in einem persönlichen Gespräch Parlamentschef Schulz und warf ihm und weiteren EU-Führungsfiguren vor, diese seien "Nihilisten" und würden sich der Einsicht verweigern, wie Europa sich schützen müsse. Nur kurz darauf veröffentlichten die sogenannten Visegrád-Staaten eine eigene Erklärung zum Umgang mit Flüchtlingen, in der sie sich gegen eine europäische Zwangslösung aussprachen und lediglich freiwillige Aufnahmequoten akzeptieren wollten.

Ein Affront? Nein, sagten Diplomaten Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns - und sogar Deutschlands. Tatsächlich gehe das Papier weiter und bemühe sich sogar erkennbar, gemeinsame europäische Positionen wie die Aufwertung der nationalen Parlamente neu in die Diskussion einzubringen. Also doch eher ein Lichtblick? Hinter den Kulissen sei es "konstruktiv und nicht konfrontativ" zugegangen, schildern Beobachter die Gespräche der Chefs. Die Flüchtlingskrise sei "hier nicht zu lösen" gewesen, deshalb habe man es gar nicht versucht. Also musste man sich auch nicht weiter verkrachen. Und so widmete man sich den Themen, über die man sich leicht verständigen konnte: Ab Jahresende wird der Schutz der Außengrenzen zu Land und zu Wasser intensiviert - dank einer verstärkten Frontex-Grenzschutzeinheit. 200 Mitarbeiter werden schon ab dem nächsten Monat die bulgarischen Beamten unterstützen. Außerdem sollen Einreisende aus Drittstaaten, die keine Visa benötigen, sich künftig - wie bei Flügen in die USA auch - vorher anmelden müssen, damit die Behörden wissen, wer die Union betritt und wieder verlässt.

Das sind alles zentrale Forderungen, die auch die Kritiker der Merkelschen Flüchtlingspolitik mittragen konnten. Dagegen kommt die Verteilung der 120 000 Flüchtlinge aus griechischen und italienischen Auffangzentren nach wie vor ebenso wenig in Gang wie die Zuweisung der Migranten aus der Türkei im Rahmen des Flüchtlingsdeals. Auch wenn die Kanzlerin am Ende des Tages zufrieden war, weil "wichtige Punkte erreicht wurden", so ging Merkel eben doch nicht als Gewinnerin vom Platz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort