Weniger Urlaub für den Aufschwung

Berlin/Saarbrücken. "Schlicht, absurd und undurchführbar" - so definierte die Fernsehjournalistin Maybrit Illner einmal die perfekte Sommerloch-Forderung. In der nachrichtenarmen Zeit, wenn Regierung und Parlament im Urlaub sind, gelangen immer wieder politische Hinterbänkler und weitgehend unbekannte Verbände mit abseitigen Vorschlägen in die Schlagzeilen

Berlin/Saarbrücken. "Schlicht, absurd und undurchführbar" - so definierte die Fernsehjournalistin Maybrit Illner einmal die perfekte Sommerloch-Forderung. In der nachrichtenarmen Zeit, wenn Regierung und Parlament im Urlaub sind, gelangen immer wieder politische Hinterbänkler und weitgehend unbekannte Verbände mit abseitigen Vorschlägen in die Schlagzeilen. So schafften es am Freitag zwei weniger bekannte Unternehmerverbände mit der Forderung in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, den deutschen Arbeitnehmern den Urlaub zu kürzen. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) sprach sich angesichts voller Auftragsbücher dafür aus, den Urlaubsanspruch auf fünf Wochen zu begrenzen. Noch weiter ging der Unternehmerverband mittelständische Wirtschaft (UMW). Verbandschefin Ursula Frerichs (Foto: dpa) erklärte via "Bild"-Zeitung: "Sechs Wochen sind zu viel, vier Wochen reichen völlig aus."Die Schlichtheit - eines der drei Merkmale eines Sommerloch-Themas - ist in jedem Fall erfüllt, denn für die Formulierung werden nur wenige Sätze benötigt. Auch an der Durchführbarkeit darf zumindest gezweifelt werden. Gesetzlich ist zwar nur ein Mindesturlaub von vier Wochen vorgeschrieben, doch viele der Arbeits- und Tarifverträge müssten gekündigt werden, weil sie einen längeren Urlaub vorsehen. Da winken selbst Unternehmer ab. "Ich kenne keinen Fall, in dem Arbeitgeber oder Verbände das ändern wollten", sagt Joachim Malter, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der saarländischen Unternehmensverbände (VSU) mit Blick auf bestehende Verträge. Und der Vorsitzende des Verbandes "Die Familienunternehmer" im Saarland, Wolfgang Herges, erklärt: "Wir bewegen uns bereits auf einen Facharbeitermangel hin, dann laufen die Leute erst recht weg."

Aber ist der Vorschlag auch "absurd"? Dass der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu der Diagnose kommt, der Vorschlag sei "nicht erstzunehmen", überrascht nur wenig. DGB-Landeschef Eugen Roth sagt: "In der Hochproduktivität die Ruhezeiten zu nehmen, hieße, das Rad zu überdrehen und zu riskieren, dass die Produktion leidet." Doch selbst das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) distanziert sich. Allerdings ist IW-Geschäftsführer Hans Peter Köls ebenfalls der Ansicht, dass die Deutschen zu wenig arbeiten. Von 365 Tagen seien die Arbeitnehmer durchschnittlich nur 212 Tage in ihrem Betrieb, bemängelt er und bringt gleich einen anderen Sommerloch-Klassiker ins Gespräch. Statt an den Urlaub will er an die Feiertage ran.

Gerade in dieser Hinsicht kommt die Wirtschaft 2010 aber relativ glimpflich davon, denn viele Feiertage fallen auf ein Wochenende. Zudem ist umstritten, wie groß die Nachteile für die Unternehmen überhaupt sind. Die CSU-Politikerin Marlene Mortler weist etwa darauf hin, dass Bayern im bundesweiten Vergleich viele Feiertage, aber trotzdem ein starkes Wirtschaftswachstum habe. In Ostdeutschland sei es genau andersherum. Zudem sind am Freitag Regierungsschätzungen bekannt geworden, dass Unternehmens- und Vermögenseinkommen in diesem Jahr doppelt so stark steigen wie die Löhne.

Eine andere Idee der UMW-Vorsitzenden Frerichs erfüllt noch viel mehr die Kriterien "schlicht, absurd und undurchführbar". Vor einigen Wochen hatte sie gefordert, Arbeitnehmer zur Verwendung von Deodorant zu verpflichten und sie bei anhaltendem Körpergeruch mit Abmahnungen zu belegen. Offen ließ Frerichs am Freitag, ob sie noch weitere Sommerloch-Forderungen im Köcher hat: "Im Augenblick noch nicht - der Sommer ist ja auch noch nicht ganz vorbei."

Hintergrund

Urlaubstage im internationalen Vergleich:Bei der Zahl der durchschnittlich gewährten Urlaubstage liegt Deutschland im EU-Vergleich vorne. Wie in Dänemark hat ein Arbeitnehmer im Schnitt 30 Tage bezahlten Urlaub. Das ist vor allem ein Verdienst der Gewerkschaften, die mit den Arbeitgebern Tarifverträge aushandeln. In Italien gibt es im Schnitt 28 Tage Urlaub, in den Niederlanden rund 26. Österreich, Tschechien, Finnland, Frankreich, Norwegen und Großbritannien gewähren rund 25 Tage. Mit 20 Tagen am wenigsten Urlaub haben Arbeitnehmer in Zypern und Estland - das ist genau die von der EU vorgegebene Anzahl. dpa

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