Wendiger Erdogan

Istanbul · Die Kehrtwende überraschte sogar Erdogans eigene Berater. Dass der türkische Präsident die Militärschläge gegen den IS jetzt unterstützen will, hat vermutlich rein strategische Gründe.

Zum Rüstzeug eines erfolgreichen Politikers gehört die Fähigkeit zu raschen Positionswechseln, falls die Lage es erfordert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan demonstriert in diesen Tagen, dass er diese Kunst perfekt beherrscht. Lange lehnte er eine Teilnahme der Türkei an den Militärschlägen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ab. Jetzt versprach er plötzlich die volle Unterstützung.

Erdogans Neuausrichtung kam so schnell, dass sie selbst seine eigenen Berater in Ankara überraschte. Erst am Dienstag hatte sich Erdogan sehr negativ über die Aktionen der USA und einiger arabischer Verbündeter geäußert - jetzt fordert er plötzlich eine pausenlose Fortsetzung der Angriffe. Nach einigen Berichten soll die Türkei bereits ihren Luftraum dafür freigegeben haben.

Am Rande der UN-Vollversammlung in New York sagte Erdogan, er sehe die Angriffe auf den IS "positiv". Die Türkei werde die ihr zufallende Aufgabe erfüllen. Auf die Frage, ob dazu auch eine militärische Unterstützung gehöre, antwortete Erdogan: "Militärisch, politisch, alles." Vizepremier Yalcin Akdogan sagte, unter militärischer Unterstützung sei nicht unbedingt ein Kampfeinsatz türkischer Truppen zu verstehen, sondern eher geheimdienstliche und logistische Unterstützung. Doch auch ein Parlamentsmandat für Armee-Einsätze im Irak und in Syrien ist im Gespräch. Anfang Oktober sollen die Volksvertreter in Ankara darüber entscheiden.

Zwei Gründe veranlassten Erdogan zu der 180-Grad-Wende. Zum einen sah sich die Türkei angesichts der Teilnahme arabischer Staaten an den Angriffen isoliert. Zum anderen kann die Türkei wohl nur dann auf amerikanische Hilfe für ihre eigenen Ziele in Syrien hoffen, wenn sie Washington beim Kampf gegen den IS unterstützt. Besondere Bedeutung hat für Ankara die Einrichtung von Pufferzonen auf syrischem Boden. Erdogan begründet diese Forderung mit der Notwendigkeit, syrische Flüchtlinge im eigenen Land zu versorgen. Doch mit diesen Zonen würde sich die Türkei auch einen direkten Einfluss auf die Lage in Syrien sichern und ihren eigenen Grenzbereich besser schützen können. Möglicherweise geht Erdogans Kehrtwende also auf die Überlegung zurück, dass türkischen Interessen mit einer Beteiligung am Feldzug gegen den IS eher gedient ist als mit einem Verzicht.

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