Was weiß eigentlich Beate Zschäpe?

München · Der NSU-Prozess erlebt heute seinen 150. Verhandlungstag. Damit ist das Verfahren um die rechtsextreme Terrorbande schon jetzt eines der längsten und aufwendigsten in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Und ein Ende ist noch längst nicht in Sicht.

Es ist eine lange, eine zähe, eine aufwendige Wahrheitssuche - und es ist unklar, ob und wann sie zu welchem Ziel führt. Seit fast eineinhalb Jahren läuft in München der NSU-Prozess, heute ist der 150. Verhandlungstag. Doch noch immer sind viele zentrale Fragen ungeklärt.

Vor allem die: Wusste die Hauptangeklagte Beate Zschäpe von den Morden und Anschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU)? Wusste sie, dass ihre Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos jahrelang mordend durch die Republik zogen? Kann sie deshalb am Ende in einem der wichtigsten politischen Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte als Mittäterin verurteilt werden, wie es die Ankläger fordern? Deren Argument: Zschäpe sei gleichberechtigter Teil des Trios gewesen.

Zschäpe droht lebenslange Haft. Ihre mitangeklagten mutmaßlichen Helfer müssen mit teils hohen Gefängnisstrafen rechnen, teils wohl nur mit Bewährung. Angeklagt sind 27 Einzelstraftaten, darunter zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge. Ein Ende des Prozesses ist noch nicht absehbar. Terminiert sind Verhandlungstage inzwischen bis in den Juni 2015.

Neun türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer und eine deutsche Polizistin sollen die NSU-Terroristen umgebracht haben, ohne dass ihnen die Ermittler auf die Spur kamen. Die Morde wurden, in all ihren grausigen Details, schon zu Beginn im Prozess aufgearbeitet.

Seit einigen Monaten geht es nun vorwiegend um andere Komplexe: um das rechtsextreme Umfeld, in dem der NSU gedeihen konnte. Oder um die Herkunft der Mordwaffe vom Typ "Ceska" mit Schalldämpfer. Diese Waffe war bei den neun fremdenfeindlich motivierten Morden des Trios eingesetzt worden und gilt als bewusstes Erkennungszeichen des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Als unbewiesen galt bis vor wenigen Tagen, wie die Waffe aus der Schweiz nach Deutschland in die rechtsextreme Gewaltszene eingeschmuggelt wurde. Seit der Vernehmung eines Staatsanwalts aus dem Schweizer Kanton Bern scheint das klarer.

Nach der Schilderung des Ermittlers haben zwei Schweizer Staatsbürger die Pistole beschafft und mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Jena gebracht. Einer der beiden zog dabei die Fäden, der andere diente eher als Strohmann und soll für 400 Franken Waffenerwerbsscheine und eine Kopie seines Ausweises verkauft haben. Mit diesen Unterlagen soll der andere mehrere Waffen gekauft haben, darunter die "Ceska". Dieser Mann lebte außerdem vorübergehend in Thüringen und lernte dort einen Jugendfreund von Uwe Böhnhardt kennen. Bei einer mutmaßlichen Schmuggelfahrt mit einer anderen Pistole war er in Jena erwischt und vorübergehend festgenommen worden. Diese Umstände waren der Bundesanwaltschaft und dem Gericht als Indizien zwar schon seit längerem bekannt, allerdings kommt der Zeugenaussage des Schweizer Staatsanwalts eine eigene Beweiskraft zu. Das Gericht kann damit nach langem Anlauf und zahlreichen Zeugenvernehmungen möglicherweise besser als bisher erklären, wie der NSU seine Mordwaffe erhielt.

Einen Haken gibt es dennoch: Teile der Verteidigung haben beantragt, die Aussagen des Staatsanwalts nicht für die Urteilsfindung zu würdigen. Die Anwälte äußerten den Verdacht, einige der Vernehmungen der beiden Schweizer seien rechtswidrig zustande gekommen.

Andere Beweiskomplexe sind auch nach 150 Prozesstagen noch kaum oder gar nicht bearbeitet. Dazu gehört die Frage, welche Rolle rechtsextreme Organisationen spielten und ob sie für die Schuldfrage im Prozess wichtig sind. Dem Umfeld widmet sich der Prozess nun verstärkt, das zeigt auch die Liste der aktuellen Zeugen. Am 150. Prozesstag befragt das Gericht den früheren mutmaßlichen Chef der sächsischen Sektion der inzwischen verbotenen Organisation "Blood & Honour". Einen Tag später ist ein mutmaßlicher Führungsmann der militanten "Hammerskins" geladen.

Noch gar nicht beschäftigt hat sich das Gericht zudem mit einem großen Teil der Straftaten, die die Bundesanwaltschaft dem "Nationalsozialistischen Untergrund" vorwirft. Dazu zählen fast alle Banküberfälle und der Rohrbomben-Anschlag in Köln im Juni 2004, bei dem 22 Menschen teils schwer verletzt wurden.

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