"Was tun wir da unten eigentlich?"

Brüssel. In Brüssel mag man sich gar nicht vorstellen, was die Nachrichten aus Lampedusa bedeuten könnten. Schon vor einigen Wochen hatte Manfred Weber gefordert, eine Abordnung des Europäischen Parlamentes nach Italien zu schicken, um herauszufinden, "was wir da unten eigentlich tun"

Brüssel. In Brüssel mag man sich gar nicht vorstellen, was die Nachrichten aus Lampedusa bedeuten könnten. Schon vor einigen Wochen hatte Manfred Weber gefordert, eine Abordnung des Europäischen Parlamentes nach Italien zu schicken, um herauszufinden, "was wir da unten eigentlich tun". Der stellvertretende Fraktionschef der christlich-konservativen EVP-Abgeordneten ahnt nichts Gutes. "Wir haben hier leider Gottes Meldungen auf dem Tisch liegen, die bestätigen, dass kollektiv zurückgeführt wird, ohne Einzelfallprüfung, und das ist definitiv mit dem europäischen Recht nicht vereinbar." Auch der französische EU-Innenkommissar Jacques Barrot forderte bereits Ende September die italienische Regierung auf, ihren Umgang mit Flüchtlingen genauer darzustellen. Rom hatte im Mai beschlossen, Flüchtlinge auf hoher See abzufangen, sie mit ein paar Lebensmitteln und Wasser auszustatten und dann zurückzuschicken. Angeblich haben italienische und auch maltesische Marine-Besatzungen in den letzten Monaten mehr als 6000 Menschen daran gehindert, einen EU-Hafen zu erreichen. Dabei sei es zu schrecklichen Szenen gekommen. Und zu Toten.Wolfgang Schäuble (CDU), bis vor wenigen Wochen noch Bundesinnenminister, bezeichnete diese Praxis damals als "gegen alle Regeln". Doch jeder Versuch, mit Italien ins Gespräch zu kommen, hat bislang nichts gefruchtet. Zwar zeigen sich die römischen Minister bei den Ratssitzungen der Gemeinschaft stets aufgeschlossen, wenn es um die Schaffung einer neuen Agentur geht, die künftig Flüchtlinge auf alle Mitgliedstaaten aufteilen und Familienzusammenführung organisieren soll. "Aber dann fahren sie nach Hause und machen weiter, als habe es keine Kritik an ihrer Politik gegeben", sagte erst vor wenigen Tagen ein hoher EU-Diplomat. Der Union aber sind die Hände gebunden, weil alle Maßnahmen bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages nur einstimmig gefasst werden können. Die Volksvertreter im Straßburger Europa-Parlament müssen ebenfalls die Hände in den Schoß legen. Solange das Reform-Dokument noch nicht wirksam ist, haben sie in allen Fragen der Innen- und Justizpolitik kein Mitentscheidungsrecht. Entschließungsanträge aber nimmt kaum jemand wirklich ernst.dr

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