Was brauchen Frankreichs Schüler wirklich?

Paris · Nur vier Tage die Woche Schule – das klingt erstmal toll für Frankreichs Schüler. Doch in diesen Tagen ist die Belastung dafür geballt. Eine Reform soll das Programm entzerren, der Widerstand dagegen ist jedoch gewaltig.

Sind französische Schulkinder stärker belastet als andere? Bis vor kurzem hatten sie die längsten Schultage in ganz Europa, dafür aber nur 144 pro Jahr - der OECD-Durchschnitt liegt bei 187. Seit einer Reform 2008 galt die Vier-Tage-Woche, nachdem zuvor am Samstagvormittag unterrichtet wurde. Der Mittwoch blieb frei - eine französische Besonderheit. Da die geballte Belastung aber oft für das enttäuschende Abschneiden französischer Schüler bei Pisa-Tests verantwortlich gemacht wurde, setzte Bildungsminister Vincent Peillon eine Reform um, die unter anderem den Rhythmus neu organisiert und das Programm entzerrt. Nun gibt es eine Viereinhalb-Tage-Woche mit Unterricht auch am Mittwochvormittag und dafür mehr Sport- oder kulturelles Programm an den übrigen Nachmittagen.

Doch rund einen Monat nach Beginn des neuen Schuljahres tönt der Regierung Protest von allen Seiten entgegen: von den Eltern- und Lehrerverbänden, den Kommunen und der Opposition, die eifrig auf jedes Thema aufspringt, das die Bevölkerung aufzuregen verspricht. Um die Kritiker zu besänftigen, organisierte die Regierung am Mittwoch eine Krisensitzung.

Dabei betrifft die Umstellung vorerst nur eine Minderheit der Schüler. Denn nachdem Peillon es den Bürgermeistern freigestellt hatte, den neuen Rhythmus ab 2013 oder erst 2014 zu übernehmen, entschied sich nur rund ein Fünftel sofort dafür. Der bürgerlich-konservative Oppositionsführer Jean-François Copé, selbst Bürgermeister in der Klein stadt Meaux, hat Peillon hingegen dazu aufgefordert, die Reform komplett zurückzuziehen. Sie sei nicht finanzierbar, "es sei denn, man erhöht die Steuern". Die Mehrkosten für die Kommunen durch die Organisation von mehr außerschulischem Programm werden auf 150 Euro pro Kind geschätzt. Die würden nur teilweise vom Staat kompensiert. "In den ländlichen Gebieten beziffert man sie sogar auf bis zu 500 Euro, weil es weniger Sporthallen, Schwimmbäder, Theaterräume gibt", sagt Copé.

Eltern und Lehrer beklagen, dass die Kinder noch müder seien als zuvor und völlig desorientiert durch den täglichen Programm-Wechsel: "Die Schüler haben jeden Bezugspunkt verloren: montags endet die Schule um 16.30 Uhr, dienstags um 15 Uhr, mittwochs um 11.30 Uhr (...) sie wissen nicht, ob sie ihre Lehrerin nach der Nachmittagspause wiedersehen oder wann der Unterricht endet", berichtet eine Grundschullehrerin in den französischen Medien. Vor allem für die Kleinsten sei das "extrem beängstigend".

Minister Peillon erwidert, die Erschöpfung der Kinder komme vom großen Druck, der auf sie ausgeübt werde und dem "Wahnsinn der außerschulischen Aktivitäten". Viele Familien beklagen wiederum eine komplette Umorganisation ihres Alltags und eine chaotische Umsetzung. Teilweise nimmt der Widerstand ideologische Züge an, wie bei der Elterngruppe, die sich im sozialen Netzwerk Facebook unter dem Motto organisiert: "Schulrhythmen: Beendet das Massaker!"

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