Grenzwerte in der EU Warum Diesel-Fahrverbote in Deutschland so ein Thema sind

Brüssel · Anders als hierzulande herrscht EU-weit nur ein geringes Interesse, die Grenzwerte für Schadstoffe zu senken. Schuld daran ist nicht nur die Umwelthilfe.

  Wegen drohender Fahrverbote entwickeln sich Diesel-Autos in Deutschland zum Ladenhüter. Der Absatz in Osteuropa nimmt indes deutlich zu.  Foto: picture alliance

Wegen drohender Fahrverbote entwickeln sich Diesel-Autos in Deutschland zum Ladenhüter. Der Absatz in Osteuropa nimmt indes deutlich zu.  Foto: picture alliance

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Das deutsche Wort „Diesel-Fahrverbot“ hört man zwar gelegentlich in Brüsseler Kreisen. Doch der Rest der EU schaut einigermaßen verwundert darauf, wie energiegeladen im größten Mitgliedsland um Grenzwerte bei der Luftreinhaltung und Fahrverbote für Autos in den Ballungsgebieten gerungen wird. Der baden-württembergische Europaabgeordnete Norbert Lins (CDU) hat dies etwa erlebt, als er im Umweltausschuss des Parlaments eine Studie durchgesetzt hat, die die Kriterien für die Auswahl der Messstationen vergleichen soll. Es habe lange von keinem Abgeordnetenkollegen Interesse an der Sache gegeben. Erst ganz zum Schluss habe ein Abgeordneter der 5-Sterne-Bewegung aus Italien durchgesetzt, dass im Zuge der Studie auch Messstationen in Italien untersucht werden.

Lins vermutet, was der Grund für das geringe Interesse im Rest der EU ist: „Die Diskussion um die Grenzwerte ist in Deutschland ausgeprägter als in anderen europäischen Ländern. Das liegt vor allem an den unverhältnismäßigen Konsequenzen.“ Kein Land habe da so einen starken Druck wie Deutschland. Nirgendwo sonst seien die Fahrverbote so weitreichend wie in Deutschland. „Nirgendwo sonst gibt es Fahrverbote für Euro-4-Diesel, nirgendwo sonst drohen bald Fahrverbote für Euro-5-Diesel.“

Dabei ist die Luft in mindestens fünf anderen Mitgliedstaaten der EU seit Jahren so schlecht, dass die EU-Kommission im Mai letzten Jahres wegen jahrelangen Verletzens der Luftreinhaltungsrichtlinie nicht nur gegen Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingeleitet hat: Betroffen sind ebenfalls Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und das Vereinigte Königreich.

Die schärfsten Fahrverbote EU-weit gibt es tatsächlich in Stuttgart: Dort ist das gesamte Stadtgebiet inklusive der 23 Stadtbezirke seit Anfang des Jahres für Diesel-Pkw und Lkw bis Euro 4 gesperrt. Davon sind theoretisch 35 Prozent des Dieselbestandes bundesweit betroffen, schätzungsweise 5,23 Millionen Fahrzeuge. Dagegen gibt es laut Lins in keinem EU-Land ein Verbot für Euro-4-Diesel. Im Großraum Paris mit einer Bevölkerung von zehn Millionen seien lediglich Diesel bis Euro 2 verboten. In Italien gebe es Fahrverbote für Diesel bis Euro 3.

Anders als in Deutschland sind also in den meisten EU-Mitgliedstaaten relativ wenige Diesel-Fahrzeughalter von Fahrverboten betroffen. Daher rechnet sich Lins auch wenige Chancen aus, auf EU-Ebene eine Revision der Grenzwerte durchzusetzen. Dafür bedürfte es ohnehin eines Vorstoßes der EU-Kommission, im Rat und im Parlament müssten dann jeweils eine Mehrheit zustimmen. Lins sieht größere Erfolgsaussichten, wenn nun die Auswahl der Messstationen in fünf Mitgliedstaaten verglichen wird. Ergebnisse sollen im März vorliegen. Wenn sich herausstellen sollte, dass Deutschland die Kriterien falsch anwendet, sei dies auf national korrigierbar.

Bleibt die Frage, warum es in Deutschland so gravierende Fahrverbote gibt und nirgendwo sonst in den EU-Staaten, die ebenfalls unter schlechter Luft leiden? Die weitgehenden Fahrverbote in Stuttgart und anderen deutschen Städten wurden nicht freiwillig von den Behörden erlassen. Vielmehr wurden sie von der Umwelthilfe in etlichen Verfahren vor Gericht durchgesetzt. Die Umwelthilfe bedient sich dabei des Privilegs, dass sie als Verbraucher- und Umweltschutzverband Klagerechte hat. Grundsätzlich gibt es Verbandsklagerechte auch in allen anderen EU-Staaten. Jedes Land kann aber entscheiden, nach welchen Kriterien er das Verbandsklagerecht vergibt.

In den nächsten Monaten drohen Autofahrern in Deutschland neue Dieselfahrverbote: In Berlin könnte es im Juni auf elf Abschnitten Fahrverbote für Euro 5 geben, in Essen könnte es ab September Fahrverbote für Euro 5 in der grünen Umweltzone geben, die auch Teile der A 40 umfasst. Auch in Köln und Mainz sind Euro-5-Fahrverbote ab Herbst denkbar. Bundesweit gibt es derzeit rund 5,51 Millionen Diesel mit Euro 5.

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