Frankreich Warum die Franzosen in der Provinz mit Macron fremdeln

Paris · Ein Jahr nach seiner Wahl startet der Präsident eine Charmeoffensive in den Vogesen. Obwohl die Arbeitslosenquote gesunken ist, herrscht dort kein Optimismus.

 „Zu verkaufen“: Schilder wie diese hängen an vielen Häusern in Saint-Dié-des Vosges. Die Stadt ist ein Opfer des industriellen Niedergangs. Kann Macron hier die Menschen für sich gewinnen?

„Zu verkaufen“: Schilder wie diese hängen an vielen Häusern in Saint-Dié-des Vosges. Die Stadt ist ein Opfer des industriellen Niedergangs. Kann Macron hier die Menschen für sich gewinnen?

Als der Name Emmanuel Macron fällt, holt Helder Goncalves sein Smartphone heraus und wischt über die Oberfläche. Nach wenigen Sekunden hat der Tabakhändler und Sohn portugiesischer Einwanderer gefunden, was er sucht: Ein Foto, das seine Frau mit dem Präsidenten zeigt. Aufgenommen vor gut zwei Wochen, als der Staatschef Saint-Dié-des-Vosges besuchte. Vor dem „Le Lutetia“, dem Laden von Goncalves, begann Macron seine Tour durch die einzige Einkaufsstraße des Ortes, 80 Kilometer westlich von Straßburg. Rot-weiße Schilder mit der Aufschrift „Zu verkaufen“ hängen in den Fenstern, denn die 21 000-Einwohner-Stadt ist wie viele andere in der Region ein Opfer des Industrie-Niedergangs.

Auch deshalb hatte der Elysée Saint-Dié ausgesucht: Der Besuch sollte zeigen, dass Macron sich um die Nöte der Menschen auf dem Land kümmert und nicht nur ein Präsident der Reichen ist, wie die linke Opposition ihm vorwirft.

Drei Tage lang bereiste der frühere Wirtschaftsminister die Vogesen, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und der rechtspopulistische Front National (FN) stark. Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr gewann FN-Chefin Marine Le Pen in Saint-Dié vor Macron, der dann aber die Stichwahl mit 63 Prozent für sich entschied. Doch hier auf dem Land hat der einstige Investmentbanker nicht dieselbe Anziehungskraft wie in den großen Städten, die am 7. Mai 2017 massiv für ihn stimmten. „Seine Rede von neuen Technologien und Globalisierung wird auf dem Land als realitätsfremd empfunden“, sagt David Valence, der Bürgermeister von Saint-Dié. Der 36-Jährige mit den raspelkurzen dunklen Haaren regiert seit 2014 im modernen Rathaus, das nach der Zerstörung der Stadt durch die Nazis 1944 anstelle der alten „Mairie“ entstand.

Bei 14,8 Prozent lag die Arbeitslosigkeit, als der Historiker und Politikwissenschaftler gewählt wurde. Inzwischen sind es 12,6 Prozent und damit immer noch rund drei Prozentpunkte mehr als frankreichweit. „Seit 30 Jahren werden hier Arbeitsplätze zerstört. Erst im letzten Jahr wurden erstmals wieder mehr Jobs geschaffen“, berichtet Valence. Es geht also langsam bergauf in der Region, in der einst die Textilindustrie florierte. „Der Aufschwung ist spürbar, doch die Bevölkerung hat ihren Optimismus noch nicht wiedergewonnen.“

Das zeigte sich vor dem Rathaus in Saint-Dié, wo unzufriedene Eisenbahner den Präsidenten am 18. April mit Pfiffen und Buhrufen begrüßten. Sie protestierten gegen die Bahnreform, die das Ende vieler Bahnverbindungen auf dem Land bedeuten könnte. Für entlegene Orte wie Saint-Dié, wo die Strecke ins 50 Kilometer entfernte Epinal gefährdet ist, kommt das einer Amputation gleich.

Die Bahn war nicht das einzige Reformprojekt, das den 40-Jährigen in den Vogesen einholte. Auch die Erhöhung der allgemeinen Sozialsteuer CSG, die vor allem die Rentner trifft, fand ihr Echo. Ein Rentner zeigte dem Präsidenten den Stinkefinger und wurde deshalb hinterher in Polizeigewahrsam genommen. „Wenn Macron so viele Reformprojekte auf einmal anpackt, muss er sich nicht wundern, wenn jeder meckert“, sagt Edith Weissrock, eine energische blonde Frau Mitte 60. „Aber er ist kämpferisch und hat gute Ideen. Außerdem wurde er ja gewählt, um die Dinge zu verändern.“

Dass sich die Lage in Frankreich ein Jahr nach der Wahl Macrons gebessert hat, findet die einstige Leiterin politischer Fortbildungen für Frauen nicht. „Im Gegenteil: Die Leute machen sich noch mehr Sorgen“, bemerkt sie. Den Besuch des Staatschefs in ihrer Geburtsstadt hält Weissrock trotzdem für eine gute Sache. Allerdings müsse Macron nicht nur mit den Menschen reden, sondern auch Lehren daraus ziehen. „Er muss den Franzosen zuhören und das ernst nehmen, was sie sagen.“

Saint-Dié ist Teil einer neuen Charmeoffensive des Staatschefs auf dem Land, denn der 40-Jährige will den Ruf nicht auf sich sitzen lassen, ein Präsident der Metropolen zu sein. Deshalb gab er Anfang April in einer Dorfschule in der Normandie ein langes Fernsehinterview. Deshalb besuchte er drei Tage lang die Vogesen und deshalb sollen zum Jahrestag seines Amtsantritts Mitte Mai alle Minister ausschwärmen, um fernab von Paris die Politik der Regierung zu erklären. Denn Macron weiß, dass sein Erfolg sich nicht nur an den Start Ups in den Großstädten misst.

„Die Leute hier haben die berechtigte Sorge, vergessen zu werden“, sagt Bürgermeister Valence. „Eine Vision, wie der ländliche Raum weiterentwickelt werden soll, gibt es schon seit 15 Jahren nicht mehr“, kritisiert der für Verkehr zuständige Vize-Präsident der Region Grand Est. „Das ist nicht erst seit Macrons Wahl so.“ Die Einwohnerzahlen gehen nicht nur in Saint-Dié, sondern in der ganzen Region zurück. Schulklassen fallen weg, Postämter und Theater schließen. „Wir haben hier kein Gericht mehr und die Privatkliniken sind weggezogen. Nur das Krankenhaus ist uns noch geblieben“, sagt Edith Weissrock.

 David Valence, Bürgermeister von Saint-Dié-des-Vosges.

David Valence, Bürgermeister von Saint-Dié-des-Vosges.

Der Präsident hat Saint-Dié 32 Millionen Euro versprochen, um im Zuge eines Aktionsplans das Stadtzentrum wiederzubeleben. Insgesamt sollen 222 kleine und mittlere Städte vom Programm Coeur de Ville profitieren, das fünf Milliarden Euro umfasst. In Saint-Dié soll das Geld genutzt werden, um die maroden Wohnungen in der Einkaufsstraße, der Rue Thiers mit ihren einförmigen rötlichen Häuserzeilen aus den 50er Jahren, zu renovieren und so Rentner, aber auch junge Leute wieder in die Innenstadt zu holen. „Wir haben hier nur eine Einkaufsstraße, deshalb ist ein Erfolg auch schnell sichtbar“, begründet Valence den Besuch des Präsidenten in seiner Stadt.

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