Warnungen in den Wind geschlagen?Interpol hilft bei der Identifizierung der geborgenen Leichen

Paris/Köln. Das Schlimmste ist das Ausgeliefertsein, die Angst vor dem Nichtstunkönnen. Als Autofahrer kann man fast immer etwas tun, meint man. Aber als Passagier in 10 000 Metern Höhe? Man muss Vertrauen haben in die Menschen, die einen durch die Welt fliegen. Und Vertrauen haben in die Technik

Paris/Köln. Das Schlimmste ist das Ausgeliefertsein, die Angst vor dem Nichtstunkönnen. Als Autofahrer kann man fast immer etwas tun, meint man. Aber als Passagier in 10 000 Metern Höhe? Man muss Vertrauen haben in die Menschen, die einen durch die Welt fliegen. Und Vertrauen haben in die Technik. Nach allem, was gestern an Informationen zum Absturz der Air-France-Maschine mit 228 Toten durchsickerte, ist dieser Vertrauensvorschuss nicht immer gerechtfertigt. Am besten verdeutlicht wieder der Vergleich zum Auto die denkbare Dramatik des Geschehenen: Weil man Aussetzer der Bremsen feststellt, lässt man seinen Wagen in einer Werkstatt prüfen. Dort werden die Mängel erkannt, zugleich erfährt man, dass es bei diesem Fahrzeugtyp und diesen Bremsen häufig Probleme gibt. Statt sie austauschen zu lassen und weil man die 1000 Euro lieber in den Urlaub investiert, fährt man weiter. Und ein halbes Jahr später fährt man gegen einen Baum und ist tot. Sachverständige nennen als mögliche Unfallursache die fehlerhaften Bremsen. Sofort ruft der Hersteller alle Fahrzeuge mit besagten Bremsen zurück und ersetzt sie durch eine sichere Baureihe.Wer jetzt sagt, dass kein Autofahrer so leichtsinnig, so dumm, so lebensmüde wäre, dem muss entgegnet werden: Es ist nicht auszuschließen, dass bei Fluggesellschaften dumme, leichtsinnige Menschen arbeiten.Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP warnte Air France seine Piloten schon im November vor Problemen mit Sensoren, die für die Geschwindigkeitsmessung zuständig sind. Die Fabrikate des Herstellers Thales (Lufthansa und andere Airlines nutzen andere Geräte) wurden offenbar durch Wasser oder Vereisung zeitweise unbrauchbar. Air France spricht in einem Schreiben vom 6. November von "einer bedeutenden Zahl von Zwischenfällen". Automatisch abgesetzte Fehlermeldungen des Airbus zeigen falsche Angaben zur Geschwindigkeit; die Piloten könnten zu langsam oder zu schnell geflogen sein, was zu dem Absturz geführt haben könnte. Das Schreiben zeige, dass Air France "die Probleme kannte, die die Katastrophe zu erklären scheinen", sagte ein betroffener Pilot. Gewerkschafter raten daher allen Piloten, Flüge mit einem Airbus abzulehnen, bei dem die Sensoren noch nicht getauscht wurden. Die ebenfalls französische Fluggesellschaft Air Caraïbes bestätigte ähnliche "Fehlfunktionen" im August 2008. Airbus habe daraufhin Änderungen empfohlen, die auch rasch umgesetzt wurden. Air France begann erst Ende April mit dem Austausch der Sonden, nun sollen sie binnen Tagen vollständig ersetzt werden. Auch die Lufthansa-Tochter Swiss und US Airways wollen sofort handeln. Vater erwägt StrafanzeigeMusste es also - wie so oft in der Menschheitsgeschichte - eine Katastrophe geben, um ernsthaft zu reagieren?Beweise dafür liegen nicht vor. Die Gewerkschaft SNPL betonte, dass es nach bisherigem Ermittlungsstand "keinen feststehenden Zusammenhang" zwischen dem Absturz und den Geschwindigkeitsmessern gebe. Es sei lediglich "eine mögliche Verbindung". Auch die Europäische Flugsicherheitsbehörde EASA mit Sitz in Köln äußert sich noch zurückhaltend. Mit den Sendern habe es Unregelmäßigkeiten gegeben, sagte eine Sprecherin unserer Zeitung, betonte aber: "Diese wurden bislang jedoch weder von uns, noch von Herstellern als sicherheitskritisch eingestuft." Denn auch bei einem möglichen Ausfall der Tempomessung könnten Flugzeuge sicher geflogen werden. Dennoch muss sich Air France wohl auf eine Klageflut gefasst machen. Internationale Anwaltskanzleien seien dabei, Klagen in den USA vorzubereiten, wo die Opferfamilien höhere Entschädigungssummen erzielen könnten, heiß es. Auch ein Deutscher erwägt eine Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung. Bernd Gans, dessen Tochter bei dem Absturz ihr Leben ließ, sagte, es dränge sich ihm der Verdacht auf, dass einiges "nicht ordnungsgemäß abgelaufen ist". Es sei "sehr schmerzhaft" für ihn, dass Air France und Airbus derzeit "ein merkwürdiges Ping-Pong-Spiel" mit Informationen betrieben.Fernando de Noronha/Köln. Ein Hubschrauber der brasilianischen Streitkräfte hat gestern die ersten acht Todesopfer des Absturzes der Air France-Maschine an Land gebracht. Die Maschine hatte die Leichensäcke von der Fregatte "Constituição" übernommen und landete auf der Atlantik-Insel Fernando de Noronha. Die Leichen sollten dort zunächst untersucht und dann zur Identifizierung aufs Festland gebracht werden.Das französische Meeresforschungsschiff "Pourquoi pas?" machte sich unterdessen auf den Weg in das Absturzgebiet. An Bord hat es Tauchroboter, die bis zu einer Tiefe von 6000 Metern nach den Flugschreibern suchen können. Die Geräte senden wahrscheinlich nur noch bis Monatsende ein Signal. Die internationale Polizeibehörde Interpol kündigte derweil an, bei der Identifizierung der geborgenen Leichen zu helfen. Diese solle "verlässlich, in Würde und schnell" erfolgen können, erklärte Interpol-Generalsekretär Ronald Noble. afp/dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Ausdauer-Studie Wissenschaftler des Instituts für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes haben nachgewiesen, dass ein regelmäßiges Ausdauertraining bei jedem untrainierten Sporteinsteiger die körperliche Fitness verbessert.
Ausdauer-Studie Wissenschaftler des Instituts für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes haben nachgewiesen, dass ein regelmäßiges Ausdauertraining bei jedem untrainierten Sporteinsteiger die körperliche Fitness verbessert.