Warnschuss für Obama und die Schnüffler
Washington · Erstmals hat ein US-Bundesgericht die Daten-Sammelwut des amerikanischen Geheimdienstes NSA angeprangert: Das millionenfache Abspeichern von Telefondaten sei im Kern verfassungswidrig. Auch die Internet-Bosse fordern Obama zu einer Reform auf.
Ausgerechnet ein konservativer Richter, noch von George W. Bush ins Amt berufen, hat in der Debatte um den Umfang und die Zulässigkeit der NSA-Spähprogramme der Regierung von Barack Obama eine schallende Ohrfeige versetzt. "Sehr wahrscheinlich" verstoße der Geheimdienst mit seinen wahnhaft anmutenden Spitzel-Aktivitäten gegen die amerikanische Verfassung. Das befand jetzt Bundesrichter Richard Leon vom Bezirksgericht in Washington. Zwar setzte der Jurist sein Urteil für zunächst ein halbes Jahr aus, um den Gescholtenen Gelegenheit zum absehbaren Einspruch zu geben - ein in Fragen der nationalen Sicherheit übliches Verfahren. Doch in seiner Begründung ließ der Richter kein gutes Haar an den "Schlapphüten", die selbst das Handy von Kanzlerin Angela Merkel im Visier hatten.
"Ich kann mir kein rücksichtsloseres und willkürlicheres Eindringen in die Privatsphäre vordringen als diese Hightech-Speicherung persönlicher Daten ohne richterliche Erlaubnis", befand Leon in seiner Entscheidung, die vermutlich am Ende auch das höchste Gericht der USA, den Supreme Court, beschäftigen wird. Doch einen Meilenstein gesetzt hat Leon damit, denn zuvor hatte noch kein Bundesrichter derart harsch Kritik geübt und von Illegalität gesprochen. Für Obama hätte das Urteil zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Denn am Wochenende hatte das "Wall Street Journal" davon Wind bekommen, was eine vom Präsidenten eingesetzte Arbeitsgruppe zur Überprüfung der NSA-Aktivitäten empfehlen will: eine massive "Renovierung" des Geheimdienst-Vorgehens und deutliche Beschränkungen zum Umfang und zur zeitlichen Speicherung der abgeschöpften Daten.
Damit steigt gleich an zwei Fronten der Reformdruck auf Obama, der bislang wenig Bereitschaft zu echten Veränderungen erkennen ließ und weiter argumentiert, es müsse eine Balance zwischen der Terrorabwehrpflicht des Staates und den Privatsphäre-Interessen der Bürger geben. Doch die Mehrheit der Amerikaner - Umfragen zufolge fast zwei Drittel - glaubt nicht, dass der Präsident hier tatsächlich auch das Gleichgewicht hält.
Dieser Stimmung im Volk sollen auch die Vorschläge der Arbeitsgruppe Rechnung tragen, denen Obama allerdings nicht folgen muss. Eine der Ideen: Die Telefon-Verbindungsdaten von den derzeit nahezu vollständig erfassten Gesprächen innerhalb der USA könnten künftig bei einem Telefonkonzern oder einer unabhängigen Organisation gespeichert werden. Auch sollten die Regeln, nach denen die NSA den Wortlaut von Gesprächen erhalten kann, verschärft werden.
Das Urteil begrüßten gestern nicht nur Bürgerrechtler, sondern auch "Whistleblower" Edward Snowden, der sein temporäres Asyl in Russland gerne mit einem Platz an der Sonne in Brasilien tauschen würde und dort um Aufnahme gebeten hat.
Auch die Bosse amerikanischer Internet-Firmen haben US-Präsident Barack Obama gestern persönlich ihren Unmut über das Spähprogramm des Geheimdienstes NSA geschildert. Bei einem Treffen im Weißen Haus forderten ihn Top-Manager wie der Apple-Chef Tim Cook oder der Google-Vorsitzende Eric Schmidt auf, die weitreichenden Spionageaktivitäten zu überdenken.