Bundestagswahl Wahlkampf um die Pflege

Berlin · Im Endspurt zur Bundestagswahl springen SPD und Union auf ein neues, altes Thema.

Derzeit streiken die Pflegekräfte an deutschen Krankenhäusern – wie hier in Berlin – für mehr Personal. Auch die Politik zeigt Aktionismus.

Derzeit streiken die Pflegekräfte an deutschen Krankenhäusern – wie hier in Berlin – für mehr Personal. Auch die Politik zeigt Aktionismus.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

(afp/epd) Wenige Tage vor der Bundestagswahl rückt die Debatte um einen Pflegenotstand in Deutschland zunehmend in den Vordergrund. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kündigte in einer ARD-Sendung für den Fall seines Wahlsiegs einen „kompletten Neustart“ in der Pflege an. „Deutschland ist ein Land mit Milliardenüberschüssen und Menschen, die im Alter nicht in der Würde behandelt werden, in der sie behandelt werden müssten“, sagte Schulz am Montagabend in der ARD-„Wahlarena“, in der Bürger den SPD-Kandidaten befragen konnten. „Ich werde in den ersten hundert Tagen als Bundeskanzler einen Neustart in der deutsche Pflegestruktur beginnen.“ Dies sei „Staatsaufgabe Nummer eins“.

Schulz machte dabei drei Handlungsfelder aus: „Mehr Personal, bessere Bezahlung des Personals und mehr Pflegeplätze.“ Der SPD-Kanzlerkandidat forderte, „dass wir 30 Prozent mindestens mehr an Gehältern zahlen“, um den Beruf attraktiver zu machen. Durch einen einheitlichen Personalschlüssel soll die Verteilung von Pflegekräften auf Patienten besser werden. Auch andere SPD-Politiker warfen der Union beim Thema gestern Tatenlosigkeit vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe das Thema zwölf Jahre lang ignoriert, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Vor einer Woche war Merkel in der ARD-„Wahlarena“ ebenfalls zu diesem Thema befragt worden. Dabei hatte sie darauf verwiesen, dass in den vergangenen Jahren durch höhere Pflegeversicherungsbeiträge bereits 20 Prozent mehr Geld in den Bereich geflossen sei. Auch Merkel sprach sich für eine bessere Bezahlung aus und stellte einen neuen Personalschlüssel bei der Betreuung in Aussicht. Zur Behebung des Personalmangels müssten „notfalls“ auch Pflegekräfte aus Osteuropa angeworben werden.

Ende Juni waren rund 3,1 Millionen Menschen bei den Pflegekassen registriert und damit 12,9 Prozent mehr als 2016, wie laut „Passauer Neuen Presse“ aus einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Linken-Anfrage hervorgeht. 2016 lag die Zahl der Pflegebedürftigen bei rund 2,75 Millionen. Im Vergleich zum Jahr 1999 ist die Zahl der Pflegebedürftigen damit um mehr als die Hälfte (54 Prozent) gestiegen. Wie aus der Antwort weiter hervorgeht, werden heute auch deutlich mehr Menschen ausschließlich zu Hause von ihren Angehörigen versorgt. Hier stieg die Zahl von einer Million im Jahr 1999 auf 1,4 Millionen im Jahr 2015. Die Hälfte der Pflegebedürftigen wurde 2015 daheim betreut. Zwar nahm seit 1999 auch das Pflegepersonal erheblich zu: Während bei ambulanten Pflegediensten 1999 rund 183 000 Menschen beschäftigt waren, waren es 2015 schon 355 000. In Pflegeheimen stieg die Zahl der Beschäftigten von 441 000 auf 730 000. Doch die Personallücke ist weiter groß.

Der Deutsche Pflegerat hofft daher auf Verbesserungen im Bereich der Pflege. „Mich stellt ja schon mal sehr zufrieden, dass es gelungen ist, das Thema Arbeitssituation der Pflegenden in den Vordergrund zu drängen“, sagte der neue Präsident des Pflegerates, Franz Wagner, gestern über die Debatte auf der Zielgeraden des Wahlkampfs. Allerdings müssten Milliardensummen investiert werden, um die Probleme tatsächlich anzugehen, sagte Wagner. „Und wir reden ja nicht nur von der pflegerischen Versorgung in Pflegeheimen und in der ambulanten Pflege, also bei Pflegebedürftigkeit. Wir müssen ja auch reden über die Pflege im Krankenhaus.“

Darauf machten auch gestern wieder hunderte Angestellte deutscher Krankenhäuser bei Streiks aufmerksam. Wie die Gewerkschaft Verdi mitteilte, legten Beschäftigte in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Berlin zeitweise die Arbeit nieder. Bereits am Montag hatten Mitarbeiter der Berliner Charité gestreikt.

Zwischen den Ländern gebe es große Unterschiede beim Pflegepersonal, sagte Wagner. Kurzfristig könnte die Personalnot durch bessere Arbeitsbedingungen gelindert werden. So gebe es zehntausende ausgebildete Pflegekräfte, die den Beruf aufgrund der hohen Belastung nicht mehr ausübten.

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