Wahldrama trübt Lieberknechts Start

Erfurt. Dem Schicksal einer Heide Simonis entgeht sie nur knapp. Drei demütigende Wahlgänge muss Christine Lieberknecht bei der Wahl zur Thüringer Ministerpräsidentin über sich ergehen lassen. Zweimal bekommt sie nur 44 von 87 Stimmen - wo eine absolute Mehrheit erforderlich wäre. Erst im dritten Wahlgang stellen sich die Abtrünnigen geschlossen hinter Lieberknecht

Erfurt. Dem Schicksal einer Heide Simonis entgeht sie nur knapp. Drei demütigende Wahlgänge muss Christine Lieberknecht bei der Wahl zur Thüringer Ministerpräsidentin über sich ergehen lassen. Zweimal bekommt sie nur 44 von 87 Stimmen - wo eine absolute Mehrheit erforderlich wäre. Erst im dritten Wahlgang stellen sich die Abtrünnigen geschlossen hinter Lieberknecht. Sie bekommt alle 55 von 87 Stimmen. Die Opposition spricht von einem klassischen Fehlstart. Erinnerungen werden wach an Heide Simonis' gescheiterte Wahl zur schleswig-holsteinischen Landeschefin 2005 in Kiel. In vier Wahlgängen erhielt Simonis damals keine Mehrheit.

Überrascht wirkt Lieberknecht nicht. Bereits bei der ersten Stimmenauszählung macht die 51-Jährige ein Zeichen in Richtung Wahlkommission: Daumen runter - mit fragendem Schulterzucken.

Offenbar ist ihr klar, dass ihr kleiner Putsch gegen ihren Vorgänger Dieter Althaus nicht ungestraft bleiben würde. Immerhin sind unter den 30 CDU-Abgeordneten etliche seiner Getreuen. Schnell war klar, dass die Abtrünnigen Christdemokraten sind.

Die CDU um den nach seinem Skiunfall angeschlagenen Althaus verlor bei der Landtagswahl am 30. August nach zehn Jahren die absolute Mehrheit. In den Verhandlungen mit der SPD musste sie etliche Positionen aufgeben. Dadurch ist Unmut entstanden. Auch könnte eine Rolle gespielt haben, dass die katholisch geprägte Partei jetzt von einer protestantischen Pfarrerin geführt wird.

Dass es im dritten Wahlgang doch noch klappt, hat Lieberknecht ihrem Konkurrenten Bodo Ramelow von der Linken zu verdanken. Weil der sie zu einer Kampfabstimmung herausfordert, schließen sich die Reihen. In der Pause vor der entscheidenden Wahl drückt Ramelow ihr herzlich die Hand. Diese Szene macht deutlich, wie beliebt Lieberknecht ist - zumindest bei der Opposition. Die Achtung hat sie sich vor allem in ihrer Zeit als Landtagspräsidentin verdient, als sie für einen fairen Umgang der Fraktionen untereinander sorgte. Die neue Ministerpräsidentin muss nun mit dem Makel leben, nur holprig in die Staatskanzlei gekommen zu sein. Aber nach 20 Jahren in der Politik ficht sie das nicht an. "Wir haben es gerade erlebt: Nichts ist selbstverständlich, und man muss immer auf alle Fälle vorbereitet sein", sagt sie nach der Wahl. Nun wird Lieberknecht ihr Kabinett zusammenstellen. Vier der acht Ressorts gehen an die SPD, über vier entscheidet sie. Auf diesem Weg könnten schon bald Rechnungen beglichen werden.

Meinung

Mehr Disziplin im Saarland?

Von SZ-Redakteur

Ulrich Brenner

Neun Stimmen weniger für Angela Merkel, vier für Christine Lieberknecht. In der Kabine hat in dieser Woche mancher - wohl aus der CDU - der eigenen Kandidatin die Gefolgschaft versagt. Heckenschützen sind nichts Neues - erinnert sei an die Wahl Ernst Albrechts 1976 in Niedersachsen mit SPD-Hilfe. Aber es fällt auf, wie oft und in wie großer Zahl sich Abgeordnete zuletzt der eigenen Partei verweigert haben: Einer stürzte Heide Simonis in Kiel, vier SPDler stoppten (öffentlich) Andrea Ypsilanti in Hessen. Die Entwicklung ist eine Facette der Zersplitterung des Parteiensystems, wo erst nach der Wahl um Bündnisse und Inhalte gefeilscht wird. Das verlangt Kompromisse, die nicht jeder Abgeordnete mitgehen kann. Nein zu sagen, wenn der Kurs zu weit von dem abweicht, wofür man gewählt wurde, ist gutes Abgeordneten-Recht. Wahrscheinlich hat Peter Müller die Ereignisse in Thüringen genau verfolgt. Wenn er sich am 19. November im Landtag zur Wahl stellt, darf höchstens eine Stimme von CDU, FDP oder Grünen fehlen. Und vor allem CDU-Abgeordneten verlangt Jamaika Biegsamkeit ab. Die Erfahrung lehrt aber: Je knapper die Mehrheit, desto größer die Disziplin. Und ein Scheitern Müllers könnte totalen Machtverlust bedeuten. Das eint.

Hintergrund

Ähnlich wie Christine Lieberknecht erging es 1980 Werner Zeyer (CDU) im Saar-Landtag. Im ersten Durchgang zur Wahl des Ministerpräsidenten verweigerten ihm drei Abgeordnete seiner CDU/FDP-Koalition die Gefolgschaft. Zwei Tage später wurde er mit allen 27 Stimmen der Koalition gegen 24 Stimmen der SPD gewählt. Vermutlich wollten CDU-Abgeordnete Zeyer einen Denkzettel verpassen, weil er Quereinsteiger zu Ministern machte statt alter Parteisoldaten. ulb

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