Vorsingen ist wichtiger als Reichtum

Berlin · Wenn Eltern ihren Kindern vorlesen und mit ihnen singen, fällt es nicht so sehr ins Gewicht, wenn eine Familie wenig Geld hat, sagt Ministerin Kristina Schröder. An den derzeitigen Familienleistungen will sie kaum etwas ändern.

Gut vier Jahre lang ließ die Bundesregierung das Dickicht der familienpolitischen Leistungen von Experten durchforsten. Ergebnis der Evaluierung: Im Prinzip kann alles so bleiben wie gehabt. "Die Familienpolitik ist im Wesentlichen richtig konzipiert und ausgesprochen erfolgreich", meinten Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und Kassenwart Wolfgang Schäuble (beide CDU) gestern bei der Vorstellung ihrer Bilanz in Berlin.

Immerhin 200,3 Milliarden Euro gibt der Staat pro Jahr für "ehe- und familienbezogene" Leistungen aus. Unter dem Strich kommen aktuell 156 Einzelmaßnahmen zusammen - vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis zum Freibetrag für Alleinerziehende. Streng genommen werden aber nur 125,5 Milliarden Euro für Familien verausgabt. Die restlichen knapp 75 Milliarden Euro entfallen zum größten Teil auf Witwenrenten (38 Milliarden) sowie das Ehegatten-Splitting (20 Milliarden), von dem bekanntlich auch Paare mit Trauschein profitieren, die keine Kinder haben.

In den letzten Jahren gab es immer wieder Kritik an der Fülle der Maßnahmen und ihrer Effizienz. Im Februar sorgte ein interner Zwischenbericht der von der Regierung beauftragten Forschungsinstitute für Zündstoff. Darin wurde vieles als kaum nutzbringend kritisiert und empfohlen, die Milliardensummen vorrangig in den Ausbau von Kinderbetreuung und Bildung zu investieren. Im gestern veröffentlichten Papier des Bundesfamilienministeriums ist davon allerdings nichts zu lesen. Weder Schröder noch Schäuble halten es für notwendig, den Förder-Dschungel zu lichten. Nur bei sogenannten Schnittstellen sieht man Nachbesserungsbedarf. Als Beispiel nannte Schröder den Kinderzuschlag. Er verhindert bei Eltern das Abgleiten in Hartz IV, die ihren eigenen Lebensunterhalt erwirtschaften können, aber nicht den ihrer Kinder. Die Prüfung habe nun ergeben, dass der Kinderzuschlag beim Überschreiten einer bestimmten Einkommensgrenze "schlagartig abbricht", erläuterte Schröder. Diese Ungerechtigkeit lasse sich durch eine "Glättung der Abbruchkante" beseitigen.

Nach Einschätzung der Ministerin haben sich die familienpolitischen Leistungen unter dem Strich aber bestens bewährt, um Armut zu verhindern. Allein durch den sogenannten Unterhaltsvorschuss würden 31 000 Alleinerziehende vor dem Bezug von Hartz IV bewahrt. Schröder machte allerdings auch deutlich, dass das Kindeswohl ausschließlich von der familiären Atmosphäre geprägt wird: "Wenn die Eltern den Kindern täglich vorlesen, vorsingen oder mit den Kindern malen oder basteln, sind die negativen Effekte von familiärem ökonomischem Druck auf die Kinder wissenschaftlich nicht feststellbar." Im Klartext: Ob eine Familie arm oder reich ist, tut demnach nichts zur Sache.

Die familienpolitische Fachfrau der Grünen, Ekin Deligöz, hält solche Darstellungen für naiv. "Frau Schröder hat nicht begriffen, worauf es ankommt. Beim jetzigen, sehr steuerlastigen System werden nämlich die Familien mit den höchsten Einkommen am Besten unterstützt, während viele Alleinerziehende und Menschen mit niedrigen Einkommen die geringsten Leistungen erhalten", sagte Deligöz der SZ. Im Ergebnis wachse die Kluft zwischen Arm und Reich dadurch erst recht. Die von Deligöz kritisierte Steuerkomponente will die Union allerdings sogar noch ausweiten. Schröder bekräftigte gestern noch einmal die im Wahlprogramm von CDU und CSU enthaltene Forderung, den Kinderfreibetrag von jetzt 7008 Euro auf den Grundfreibetrag für Erwachsene (8345 Euro) anzuheben. Zusammen mit der dann notwendigen Erhöhung des Kindergeldes würden sich Mehrkosten für den Staat auf gut sieben Milliarden Euro belaufen.

Dass die Geburtenrate in Deutschland trotz der riesigen finanziellen Aufwendungen im Familienbereich nach wie vor zu den niedrigsten in der Welt gehört, wollte Schröder nicht als Makel gelten lassen. Es gäbe "keine Belege" für einen direkten Einfluss familienpolitischer Leistungen auf die Geburtenrate, meinte die CDU-Politikerin.

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