Von Zweifeln und Verzweiflung

Saarbrücken. Rudolf Clövers (56) ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst, doch sein Schicksal könnte jetzt eine positive Wendung nehmen: Die französische Justiz geht am heutigen Montag daran, seinen Fall neu aufzuarbeiten

Saarbrücken. Rudolf Clövers (56) ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst, doch sein Schicksal könnte jetzt eine positive Wendung nehmen: Die französische Justiz geht am heutigen Montag daran, seinen Fall neu aufzuarbeiten. Clövers, der aus Saarbrücker stammt, wurde 1997 in Montpellier zu zwölf Jahren Gefängnis wegen Missbrauchs seines Sohnes Florian und seiner Tochter Sabrina verurteilt. Zu Unrecht, wie auch sein Metzer Anwalt Ralph Blindauer behauptet. In einer Sitzung, die heute um 14 Uhr beginnt, wird die oberste französische Berufungsinstanz Cour de Cassation darüber entscheiden, ob sie in diesem Fall von einem der schlimmsten Justiz-Irrtümer der vergangenen Jahre ausgeht. Es ist durchaus möglich, dass der Saarbrücker am Ende als unbescholtener, rehabilitierter Mann aus dem Verfahren hervorgeht.

Im Gefängnis, wo Clövers als angeblicher Kinderschänder die schlimmsten Qualen, auch durch Mitgefangene, zu erleiden hatte, verlor er in langen Jahren den Glauben an die Gerechtigkeit. Seine Leidensgeschichte hatte an einem warmen Sommertag im Jahr 1996 auf einem Campingplatz im südfranzösischen Sète ihren Lauf genommen. Damals erschien dort die Polizei, um Clövers und seine Frau Elke zum Verhör mitzunehmen. Der Vorwurf: Die Eltern hätten ihre beiden Kinder Sabrina (8) und Florian (11) mehrfach sexuell missbraucht. Was war geschehen? Die Clövers hatten wie üblich im Sommer in Frankreich Erholung gesucht. Damals war der Alltag der Familie jedoch nicht mehr ohne Probleme. Die Sorge um den geistig behinderten Sohn Florian belastete die Familie derart, dass Mutter Silke manchmal sagte: "Wir wären wirklich besser tot." Dieser Satz findet sich in einem Befund des Münchner Kinderzentrums, in dem der behinderte Florian in Behandlung war. Vater Rudolf war schwerhörig, hatte drei Jahre zuvor zudem einen Herzinfarkt erlitten, so dass er seinen Beruf als Industriekaufmann nicht mehr ausüben konnte.

Auch im Urlaub in Sète ging es Rudolf Clövers nicht gut. Vier Tage vor dem Verhör hatte er einen Hörsturz erlitten, musste ins Krankenhaus. Zuvor hatte er sich noch beim Chef des Campingplatzes über den Lärm beschwert und darüber, dass sich der Hund der Nachbarin gegenüber den Kindern aggressiv verhalte. Die Retourkutsche dafür kam prompt, so vermuten die Clövers. Denn die Nachbarin, eine Madame Vachez, ließ die Anwürfe der Saarländer wegen ihres Hundes nicht aus sich sitzen. Sie fuhr zur Polizei in Sète, um den angeblich mehrfach beobachteten sexuellen Missbrauch der beiden Kinder anzuzeigen.

Aus Sicht der Clövers bahnte sich das Verhängnis in den Verhören mit den beiden Kindern an: Nachdem Tochter Sabrina den Missbrauch zunächst bestritten hatte, gab sie ihn später zu. Angeblich, weil Polizisten sie gedrängt hätten, sie solle diese Übergriffe einräumen, damit man dem kranken Vater helfen könne. So wenigstens stellt heute die Tochter den Sachverhalt gegenüber Journalisten dar.

Nicht berücksichtigt wurde vom Gericht in Montpellier auch, dass Sabrina laut medizinischer Untersuchung auch nach der angeblichen Tat noch Jungfrau war.

Völlig unerklärlich ist es für den Vater zudem, wieso sich die Justiz auch auf Aussagen des geistig behinderten Florian stützte, der doch nach Feststellungen von Medizinern an "schweren Wortfindungs- und Wortabrufstörungen" litt. Dennoch wurde das Paar verurteilt. Inzwischen ist die Ehe der Clövers in die Brüche gegangen, Rudolf Clöver hat einen Selbstmordversuch hinter sich.

Schon 1997 hatte die in Montpellier erscheinende Regionalzeitung "Midi Libre", die den Prozess begleitete, erhebliche Zweifel an der Schuld der saarländischen Angeklagten, die beide von Anfang an und bis zuletzt den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs bestritten. So titelte der "Midi Libre" nach der ersten Verhandlung im November 1997: "Hat das deutsche Ehepaar wirklich sexuellen Missbrauch mit seinen Kindern betrieben?" Und am nächsten Tag wurden die Zweifel an der Anklage mit der gleichen Nachdrücklichkeit formuliert: "Schreckliche Ungewissheit". "Man stürzt von einem Extrem ins andere", wurde in dem Bericht herausgestellt, der aber ebenso vermerkte, dass die Ehepartner mit keiner Silbe von der Version abgewichen seien, dass es nie einen sexuellen Missbrauch gegeben habe. "Man stürzt von einem Extrem ins andere"

Aus einem Zeitungsbericht 1997

Hintergrund

Das oberste französische Berufungsgericht, vergleichbar dem Bundesgerichtshof, ist der Cour de Cassation in Paris. Er umfasst sechs Kammern, fünf für das Zivil- und eine für das Strafrecht. Diese Instanz hat die Möglichkeit, alle Gerichtsurteile in Frankreich aufzuheben. Ihre Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass das Recht überall auf französischem Territorium auf gleiche Art angewendet wird. Allerdings ist es selten, dass von der Cour des Cassation ein Missbrauchs-Prozess wie hier im Falle der Familie Clövers wieder aufgerollt wird. "Dass man solch einen Justiz-Irrtum aufklärt, kommt in 100 Jahren vielleicht fünf Mal vor", hatte kürzlich Clövers' Anwalt bei einer Pressekonferenz in Saarbrücken vermutet. gf

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