Von pragmatisch bis linksradikal

Berlin. Man stelle sich vor, eine Partei zieht in den Wahlkampf, aber ihre bekanntesten Zugpferde verbannt sie kurzerhand in den Stall. Dieses seltsame Szenario könnte an diesem Wochenende Wirklichkeit werden. Dann versammelt sich die Linkspartei zu ihrem Europa-Parteitag in Essen

 Hält nicht viel von Europa: Sahra Wagenknecht. Foto: dpa

Hält nicht viel von Europa: Sahra Wagenknecht. Foto: dpa

Berlin. Man stelle sich vor, eine Partei zieht in den Wahlkampf, aber ihre bekanntesten Zugpferde verbannt sie kurzerhand in den Stall. Dieses seltsame Szenario könnte an diesem Wochenende Wirklichkeit werden. Dann versammelt sich die Linkspartei zu ihrem Europa-Parteitag in Essen. Doch die profiliertesten EU-Abgeordneten, André Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann, wurden vom Bundesausschuss der Linken nicht mehr für das europäische Parlament nominiert. Gegen ihren ausdrücklichen Willen, wie beide betonen. Nun kommen Personalquerelen in den besten politischen Familien vor. Aber in diesem Fall stehen sie auch für das gespaltene Verhältnis der Linken zu Europa.

Streit um Lissabon-Vertrag

Der Streit entzündet sich am EU-Vertrag von Lissabon, den die Linksfraktion im Bundestag für verfassungswidrig hält. Deshalb klagt sie in Karlsruhe dagegen. Begründung: Der Vertrag lege die EU auf eine marktradikale Wirtschaftsordnung fest. Zudem könne das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ebenso ausgehebelt werden wie der deutsche Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Bereits im Mai 2008 bei der Abstimmung über den Reformvertrag im Bundesrat hatten die Linken demonstrativ auf Ablehnung gedrängt. Ausgerechnet die europäische Metropole Berlin, in der die Linken mit am Regierungstisch sitzen, versagte dann auch ihre Zustimmung - als einziges von den 16 Bundesländern. Spätestens seit diesem Votum sehen sich die Linken mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien europafeindlich. Ein Umstand, der im Vorfeld des Delegiertentreffens in Essen für heftige Auseinandersetzungen sorgt.

Mindestens drei innerparteiliche Strömungen kämpfen dort um die europapolitische Deutungshoheit. Eine kleine Minderheit findet, dass der Reformvertrag trotz aller Schwächen einen großen Fortschritt darstellt. Ihre Wortführerin ist Sylvia-Yvonne Kaufmann. Verwundern kann das nicht, denn Kaufmann war als einzige Frau aus Deutschland Mitglied des EU-Verfassungskonvents. Kürzlich erhielt sie sogar das Bundesverdienstkreuz. Eine deutlich größere Strömung versteht sich als pro-europäische Partei, lehnt aber den Lissabon-Vertrag ab. Zu ihr gehören der engere Führungszirkel und letztlich auch André Brie. Der einstige Wahlkampfleiter der Linken sieht zwar in dem Lissabon-Vertrag ein Förderprogramm für die "soziale Spaltung". Alle Gedanken über eine Renationalisierung seien jedoch illusorisch. "Angesichts globalisierter Märkte und internationaler Konzerne kann die Linke doch gar nicht auf Europa verzichten", sagt Brie. Damit zielt er auf eine dritte Gruppe um die Sprecherin der Kommunistischen Plattform, Sahra Wagenknecht, und den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrke, die die europäische Integration als imperialistisches Machwerk rundweg ablehnt.

Der Leitantrag für den Parteitag fällt jedenfalls überwiegend europakritisch aus. Beispielsweise wird der Vorrang des europäischen Rechts gegenüber den nationalen Grundrechten kategorisch verworfen. Die Rede ist auch von einer "Neugründung" der EU, welche nach dem Verständnis der Radikallinken in der Partei natürlich nur unter sozialistischen Vorzeichen sinnvoll wäre. Im Nachhinein ging dem Parteivorstand ein Licht auf, wie schnell man sich durch solche Passagen ins außenpolitische Abseits manövrieren könnte. Mit zahlreichen Änderungsanträgen setzt das Gremium nun auf europafreundlichere Korrekturen. Auch Andre Brie, der wie Kaufmann seit zehn Jahren für die Linken im Europaparlament sitzt, will die Parteitagsregie dem Vernehmen nach doch noch zu einem aussichtsreichen Listenplatz für die Europawahl am 7. Juni verhelfen.

Das wird allerdings schwer genug. Mit dem einflussreichen sächsischen Landesverband hat es sich Brie im Zuge interner Richtungskämpfe nachhaltig verscherzt. Und seine häufiger geäußerte Frontalkritik an Parteichef Oskar Lafontaine geht vielen westdeutschen Parteigängern gegen den Strich. Auf die Neuzugänge aus den alten Bundesländern ist Brie ohnehin nicht gut zu sprechen. Als er kürzlich gefragt wurde, ob die EU-Ablehnungsfront seit der Fusion mit der WASG gewachsen sei, antwortete der erfahrene PDS-Mann: "Ja, das stimmt."

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