Von oben herab

Brüssel · Ganz Europa blickt skeptisch auf Deutschland. Die ständigen Ermahnungen Berlins zur Finanzdisziplin der EU-Partner zersetzen die Gemeinsamkeit. Auch die deutsch-französische Achse ist beschädigt. Grexit und Pegida tun ein Übriges.

Die Reaktionen sind eindeutig: Deutschlands heftiger Streit über einen Euro ohne Griechenland verstört die Partner in der Europäischen Union. "Zeitverschwendung", schimpfte kürzlich Jyrki Katainen , Vizepräsident der EU-Kommission und für Währungsfragen zuständig, über den Krach um Grexit, also den erzwungenen oder gar freiwilligen Austritt der Hellenen aus der Gemeinschaftswährung. "Die Zugehörigkeit zur Euro-Zone ist unwiderruflich", stellte Katainen klar. Zuvor war bereits Martin Schulz , Präsident des EU-Parlaments, deutlich geworden. "Verantwortungslose Spekulationen" nannte er die Debatte in seiner Heimat. Der Grexit-Streit sei "nicht hilfreich". Und Beobachter aus Spanien fragen inzwischen sogar offen, ob die Griechenland-Debatte nicht zu einem Gesamtbild Deutschlands gehöre, in das auch der Erfolg von Pegida passe. Die Rede ist von einem "verwerflichen Extremismus" gegen alles, was mit "europäischer Solidarität" zu tun habe.

Durch die Anschläge von Paris rückte die Grexit-Debatte zwar für ein paar Tage in den Hintergrund. Dennoch beobachten die europäischen Partner uns weiter, argwöhnisch und beunruhigt. Und mit wachsender Sorge, auch weil sich demokratisch gewählte Politiker mit Pegida-Anhängern an einen Tisch setzen. Zwei Themen, die scheinbar nicht zusammengehören und doch im Denken der Nachbarn einen gemeinsamen Nenner haben: Deutschland könnte sich, so fürchten sie, in einen nationalen Egoismus zurückziehen. Die Versprechen an Athen, den Wiederaufbau des Landes zu begleiten und es in der Währungsunion zu halten, scheinen vergessen, so wird argumentiert. Der Zulauf zu den Pegida-Aktionen, die wachsende Distanz zu all jenen zeigen, die man früher mit Solidarität aufgenommen habe, sei da nur die andere Seite der gleichen Medaille. Lange, viel zu lange reagierte die Bundesregierung nicht oder nur zögerlich. Ein klärendes Wort der Kanzlerin ging vor wenigen Tagen in der Empörung über die Morde von Paris unter.

Auch wenn es sich zweifellos um Zerrbilder über die Bundesrepublik handelt, reicht ihre Wirkung doch für eine nicht mehr nur latente Verstörung unserer europäischen Partner aus. Um es klarer zu sagen: Der Eindruck, den Deutschland in Europa derzeit hinterlässt, ist ein Desaster. Das dokumentiert auch der Versuch, einen Not-Gipfel des französischen Präsidenten François Hollande mit Kanzlerin Angela Merkel und Parlamentspräsident Martin Schulz zu arrangieren. Das Treffen wurde wegen der Pariser Trauerkundgebung am vorigen Wochenende abgesagt. Doch allein die Tatsache, dass eine derart ungewöhnliche Zusammenkunft notwendig erschien, ist schon ein Alarmsignal. Die deutsch-französische Achse, die so oft zitiert wird, dass man es kaum noch hören kann, eiert nicht nur. Sie ist beschädigt. Die Solidaritäts-Symbolik nach den Anschlägen in Paris ändert daran nichts - Berlin und Paris marschieren in unterschiedliche Richtungen.

Europa (und Frankreich) braucht ein nicht nur ökonomisch starkes Deutschland , das investiert und andere mitzieht. Doch in der Bundeshauptstadt wird stattdessen auf Teufel komm' raus saniert und - schlimmer noch - von oben herab belehrt. Jene ständigen Ermahnungen an die EU-Partner, sie könnten sich selbst heilen, wenn sie sich nur ein Vorbild an Deutschland nähmen, zersetzen die Gemeinsamkeit. Das Gerede vom Grexit, der weder funktioniert noch wirklich auf der Tagesordnung steht, ist dafür ein Symbol, die Parolen der Pegida-Sympathisanten ebenso.

Der Nährboden für ein solches Unverständnis auf allen Seiten liegt vor allem im ergebnislosen Ringen der Europäer, die bei den großen Herausforderungen nicht weiterkommen. Weder die Flüchtlingswelle noch die Massenarbeitslosigkeit im Süden konnten bislang wirklich eingedämmt werden. Von den großen Programmen der neuen EU-Spitze sieht man bisher nur Grundsatzbeschlüsse und Vertagungen. Als wenn die Probleme vor der eigenen Haustür eine mehrwöchige Weihnachtspause erlaubt hätten.

Die europäische Antriebslosigkeit, die in Berlin herrscht, befeuert die Situation nur noch. Hinter Grexit und Pegida steckt die Unlust der Deutschen, sich auf ein Europa einzulassen, das am Ende doch nichts lösen kann. Weder der Kanzlerin noch den Koalitionsparteien ist es gelungen, dieser Haltung entgegenzutreten. Weil man den Stimmungen der Straße hinterherläuft.

So erschreckend es auch klingen mag: Vielleicht hat der Schock über die Ereignisse von Paris doch noch eine heilende Wirkung, die in einem neuen Zusammenrücken der Europäer gegen einen gemeinsamen Gegner bestehen könnte. Das Wiederentdecken gemeinsamer Werte, die Notwendigkeit, den inneren Frieden zu sichern, indem man Wohlstand für alle garantiert - das ergäbe einen neuen Aufbruch für ein Europa, in dem eine Grexit-Debatte unsinnig und eine Pegida-Bewegung überflüssig wären. Weil Deutschland seine Solidarität wiederentdeckt.

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