Bildung Von Lorbeeren und Zweifeln

Saarbrücken · Dank guter Noten im Bildungsmonitor 2017 kann Minister Ulrich Commerçon ein wenig aufatmen. Doch das Echo ist nicht nur positiv. 

 Auch bei der Förderung von Migranten an Schulen bekommt das Saarland im Bildungsmonitor 2017 gute Noten.

Auch bei der Förderung von Migranten an Schulen bekommt das Saarland im Bildungsmonitor 2017 gute Noten.

Foto: picture alliance / dpa/Hendrik Schmidt

Es dürfte einer der sonnigsten Tage in Ulrich Commerçons bisheriger Amtszeit gewesen sein – auch wenn sich der Himmel tatsächlich nicht wolkenlos zeigte. Eilig wie selten in der Vergangenheit wurde sein Bildungsministerium gestern morgen mit einer Mitteilung aktiv, galt es doch, beachtlichen Erfolg zu vermelden: Der „Bildungsmonitor 2017“ bescheinigt dem Saarland von allen Bundesländern die stärksten Fortschritte in seinem Bildungssystem. Gegenüber dem Vorjahr legte es der gestern veröffentlichten Studie zufolge um 6,0 Punkte zu – und nimmt damit im bundesweiten Ranking den sechsten Platz ein.

Was dem SPD-Minister vermutlich besondere Genugtuung bereitet haben muss, ist der Umstand, dass die Bildungs-Lorbeeren ausgerechnet von der arbeitgeberfinanzierten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) ausgegeben wurden, die die Studie in Auftrag gegeben hatte.

Darin wurde das Saarland besonders für seine Fortschritte bei der Integration und der Bildungsgerechtigkeit gelobt. „Im Saarland“, so stellte der Minister denn auch begeistert fest, „entscheidet nicht die Herkunft der Kinder oder der Geldbeutel der Eltern über Abschlüsse oder Schulerfolge, sondern was die Schülerinnen und Schüler im Kopf haben.“ Stolz ließ der Minister mitteilen, dass im Saarland deutlich mehr Schüler mit ausländischer Herkunft die Studienberechtigung erlangten. „Das ist ein Riesenerfolg!“, lobte  Commerçon die Arbeit seines Ministeriums.

Nicht immer kam Commerçons Bildungspolitik so gut weg: Noch Anfang März ordnete die Bertelsmann-Stiftung das Saarland eher im (teilweise unteren) Mittelfeld ein. Weniger gute Zensuren gab es etwa bei der Nutzung der Ganztagsschule. Diese sehen die Gütersloher Bildungsexperten aber gerade als Schlüssel für „mehr Gerechtigkeit von der Kita bis zum Gymnasium“.

Überhaupt hagelte es in den vergangenen Monaten reichlich Kritik für den Bildungsminister. Der Saarländische Lehrerinnen und Lehrerverband (SLLV) etwa machte in ihrer Vertreterversammlung im Juni die Landesregierung für den Lehrermangel an Grund- und Förderschulen verantwortlich, insbesondere mit Blick auf die Umsetzung der Inklusion, des gemeinsamen Unterrichts von Schülern mit und ohne Behinderung also. Ein besonders heikler Punkt, denn die Bedingungen zur Integration von Schülern mit Förderbedarf an Regelschulen seien „immer noch mangelhaft“, hieß es. „So wie die Inklusion im Saarland durchgeführt wird, führt sie die Lehrkräfte an die Grenze der Belastbarkeit und sie geht auf Kosten ihrer Gesundheit“, monierte SLLV-Vorsitzende Lisa Brausch.

Die guten Zensuren im Bildungsmonitor 2017 verbucht der Verband daher als seinen eigenen Erfolg – und nicht den des Ministers. Die Verbesserung im Bildungssystem sei vor allem „dem großen Engagement der Lehrerinnen und Lehrer im Saarland zu verdanken, kommentierte Brausch die Studie. Trotz immer noch unzureichender Rahmenbedingen und Ressourcen gingen die Kolleginnen und Kollegen aller Schulformen an ihre gesundheitlichen Belastungsgrenzen, um der zunehmend heterogenen Schülerschaft gerecht zu werden“, versuchte Brausch mögliche Höhenflüge Commerçons zu dämpfen. Immerhin sollen Schulen, die jetzt wegen steigender Schülerzahlen an ihre Grenzen stoßen, zusätzliche Lehrer erhalten. Das zumindest versprach der  Minister vor einigen Tagen.

Auch Commerçons Amtsvorgänger Klaus Kessler (Grüne) goss gestern reichlich Wasser in den Wein – nicht zuletzt weil die Studie doch durchaus von starken wirtschaftlichen Interessen geleitet sei. Commerçon selbst habe deshalb noch vor zwei Jahren den wissenschaftlichen Ansatz des Bildungsmonitors in Zweifel gezogen.  Laut Bertelsmann-Studie habe das Saarland immer noch einen großen Nachholbedarf bei den Ganztagsschulen, kritisiert Kessler. „Im Gymnasialbereich beispielsweise gibt es keine einzige Ganztagsschule.“ Auch deshalb will Kessler nicht an Bildungsgerechtigkeit glauben: Die fehlende Betreuung an Gymnasien im Saarland benachteilige vor allem Kinder sozialschwacher Eltern. Besonders treibt den Grünen-Politiker auch die personelle Ausstattung der Schulen um: Von Commerçon fordert er daher eine differenzierte und transparente  Aufschlüsselung des Lehrer-Personalstands – auch wie viele Lehrkräfte nur befristet eingestellt seien.

Die Landeselterninitiative für Bildung traut dem Bildungsmonitor ebenfalls nicht ganz. Sie sieht in der Studie der „Lobbyorganisation der Unternehmensverbände der Metall- und Elektroindustrie den Bildungsbegriff zu verengt auf die Frage, wie es den Bundesländern gelingt, das Bildungswesen stärker an Wirtschaftsinteressen auszurichten“. Immerhin bewertet die Elterninitiative die Ergebnisse als „erfreuliche Anzeichen eines größer gewordenen Stellenwerts schulischer Bildung in der Landespolitik“. Begrüßenswert sei auch die im Bundesdurchschnitt geringere Sitzenbleiberquote, die verbesserten Bildungschancen für ausländische Schülerinnen und Schüler sowie die gestiegene Anzahl der Hochschulabsolventen.

Die leistungsfähigsten Bildungssysteme in Deutschland haben dem Bildungsmonitor 2017 zufolge übrigens Sachsen, Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg. Ebenfalls deutlich gesteigert hat sich demnach Hamburg. Hier seien etwa der Fremdsprachenunterricht und die Ganztagsschule ausgebaut worden.

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