Von "Krieg" reden nicht nur die Soldaten

Berlin. Ausgiebig ließ sich das Bundeskabinett in seiner gestrigen Sitzung von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ausgiebig über die Ereignisse in Afghanistan unterrichten. "Im Einsatz für den Frieden" seien die drei Soldaten am Dienstag "gefallen", hieß es

Berlin. Ausgiebig ließ sich das Bundeskabinett in seiner gestrigen Sitzung von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ausgiebig über die Ereignisse in Afghanistan unterrichten. "Im Einsatz für den Frieden" seien die drei Soldaten am Dienstag "gefallen", hieß es. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe den Angriff der Taliban aufs Schärfste verurteilt, das Mitgefühl gelte den Angehörigen. "Wir trauern um die drei Soldaten", sagte anschließend Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Der Tod der Bundeswehrangehörigen hat jedoch nicht nur schockiert, sondern erneut die Debatte darüber entfacht, ob Deutschland am Hindukusch Krieg führt oder nicht; und ob es nicht besser wäre, die Soldaten wieder aus Afghanistan abzuziehen. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), sieht es so: Wenn die Soldaten selbst von Krieg sprächen, solle man nicht drum herum reden, "sondern benennen, wie es ist". Minister Jung tut sich indes mit dem Begriff und der Einschätzung mehr als schwer. Erst nach einigem Zögern sprach er im vergangenen Jahr bei einer Trauerfeier erstmals von "gefallenen Soldaten" - die Bezeichnung "Krieg" für die Lage in Afghanistan hat er aber bis heute aus seinem Wortschatz verbannt. Das hat Gründe: Juristisch sind Kriege nur zwischen zwei Staaten oder zwischen einer Befreiungsbewegung und einer Kolonialmacht möglich. Dann würden auch Vorschriften zum Umgang mit Kriegsgefangenen, Zivilisten oder zur Behandlung Verwundeter gelten. Und politisch wäre der Einsatz der Bundeswehr dann in eine andere Dimension gehoben mit der Folge, dass in Deutschland womöglich eine hysterische Kriegsdebatte entstünde. Das will Jung unbedingt vermeiden. Sein Sprecher Thomas Raabe legt daher Wert auf die Feststellung, dass die Angreifer in Kundus keinerlei Rücksicht genommen hätten. Auch nicht, als die bei der Attacke mit einem Panzerfahrzeug Verunglückten geborgen werden sollten. Das Terrornetzwerk Al-Qaida spreche überdies von einem "Heiligen Krieg". Da sei es nicht klug, "die Diktion zu übernehmen", so Raabe. Zu guter Letzt: Wer Krieg führe, würde auch nicht wie die Deutschen versuchen, das Land wieder aufzubauen, Militär und Polizei auszubilden. In der Bundesregierung geht man nun davon aus, dass sich angesichts der anstehenden Wahlen in Afghanistan die Gefährdungslage für die deutschen Soldaten weiter verschärfen wird. Außerdem glaubt man, "dass der Gegner" mit Angriffen auf die Truppe auch die hiesige politische Diskussion um den Einsatz und damit am Ende die Bundestagswahl im September beeinflussen will. Das ist den Taliban allerdings zu einem Teil bereits gelungen: Die große Koalition ist erneut in Erklärungsnot geraten, warum der Einsatz überhaupt notwendig ist. Wer dem Terrorismus nachgebe, "der wird langfristig noch viel, viel größere Sicherheitsprobleme haben", wehrt SPD-Experte Rainer Arnold die Kritik ab. Die Opposition hat derweil mit Afghanistan ihr zentrales, außenpolitisches Wahlkampfthema entdeckt: "Wie lange wollen wir da noch stehen?" fragt der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi. Den Vorwurf, die Truppe nicht zu unterstützen, kontert er damit, dass die Haltung seiner Partei bekannt sei. "Ich wünsche mir auch nachdenkliche Soldaten", so Gysi. Auch der Grüne Christian Ströbele plädiert für einen Abzug. Die Soldaten in Kundus könnten doch "an Aufbauarbeiten gar nicht mehr teilnehmen", weil sich die Lage dramatisch verschlechtert habe, sagt er. Er setzt auf Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Die FDP-Expertin Elke Hoff bemängelt hingegen die Ausrüstung der Truppe. Es zeige sich, "dass wir unseren Soldaten in Gefechtssituationen nicht die nötigen Hilfen geben können", sagte Hoff.

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