Von Genosse zu Genosse

Berlin. Der politische Höhenflug der Linken ist längst verblasst. Auch der jüngste Wahlsonntag in Bremen sorgte für Ernüchterung. Lediglich 5,8 Prozent fuhr die Partei in dem Zwei-Städte-Land an der Weser ein. Deutlich weniger als noch vor vier Jahren. In Bremerhaven blieb sie sogar unter fünf Prozent

 SPD-Chef Sigmar Gabriel sorgt derzeit für einigen Wirbel. Seine neueste Idee: Linkspartei-Mitglieder abwerben. Foto: dpa

SPD-Chef Sigmar Gabriel sorgt derzeit für einigen Wirbel. Seine neueste Idee: Linkspartei-Mitglieder abwerben. Foto: dpa

Berlin. Der politische Höhenflug der Linken ist längst verblasst. Auch der jüngste Wahlsonntag in Bremen sorgte für Ernüchterung. Lediglich 5,8 Prozent fuhr die Partei in dem Zwei-Städte-Land an der Weser ein. Deutlich weniger als noch vor vier Jahren. In Bremerhaven blieb sie sogar unter fünf Prozent. Sigmar Gabriel sucht diese notorische Schwindsucht jetzt mit einem gezielten Abwerbungsversuch für die Sozialdemokraten zu nutzen. "Kommt zu uns Genossen! Herzlich willkommen in der SPD", ließ sich der Parteivorsitzende in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Stern" zitieren. Konkret war die Aufforderung an frustrierte Linkspartei-Reformer wie etwa Fraktionsvize Dietmar Bartsch gerichtet. Doch der gab sich in dem Doppel-Interview mit Gabriel zurückhaltend: Er habe eine "sehr emotionale Bindung" an seine Partei. Um ihn in die SPD zu kriegen, "müsste die Linke sich so entwickeln, dass sie nicht mehr meine Partei wäre". Gabriel solle sich da aber nicht täuschen. Schärfer reagierte Fraktionschef Gregor Gysi: "Die Hoffnung der SPD, ernst zunehmende Teile von uns gewinnen zu können, ist falsch." Zumal die SPD derzeit "nicht gerade attraktiv" sei, stichelte Gysi.In der Vergangenheit lief es auch eher umgekehrt. Im Zuge der Fusion von ostdeutscher PDS und westdeutscher WASG konnte die Linke viele prominente Sozialdemokraten an sich binden. An vorderste Stelle natürlich Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, von dem aber selbst Gabriel nicht erwartet, dass er sich wieder seiner alten Genossen besinnt. Zu Überläufern wurden auch der bayerische Gewerkschafter Klaus Ernst, er ist heute Linksparteichef, sowie der langjährige SPD-Fraktionschef in Baden-Württemberg, Ulrich Mauer, und der Liedermacher Diether Dehm. Beide sitzen im Vorstand der Linkspartei. Ganz anders bei den Sozialdemokraten. Schon weil sich die ostdeutsche SPD im Zuge der politischen Wende vor zwei Jahrzehnten ein striktes Aufnahmeverbot von ehemaligen SED-Mitgliedern verordnet hatte, fanden nur sehr wenige bekannte Genossen den Weg zur sozialdemokratischen Konkurrenz. Zu den Ausnahmen zählt der inzwischen verstorbene Manfred Uschner. Er war persönlicher Referent des ehemaligen SED-Politbüro-Funktionärs Hermann Axen. Sein SPD-Parteibuch erhielt Uschner 1995 allerdings nur deshalb, weil er im West-Berliner Bezirk Kreuzberg um Aufnahme bat. Der Kreisverband Treptow im Ostteil der Stadt hatte den Antrag zuvor abgelehnt.

Aus den letzen Jahren sind lediglich zwei spektakuläre Fälle überliefert. 2008 wechselte Ex-PDS-Vize Angela Marquardt zur SPD. Sie ist heute im Mitarbeiterstab von Parteigeneralsekretärin Andrea Nahles. Im Jahr darauf heuerte die frühere PDS-Vizechefin und EU-Linksabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann bei den Sozialdemokraten an. Dort ist sie allerdings in der Versenkung verschwunden.

Zu den potenziellen Wechselkandidaten wurde damals auch der Europa-Parlamentarier und Reformer Andre Brie gezählt. Doch er lehnte ab und blieb dabei. "Ich fühle mich nicht angesprochen", sagte Brie gestern unserer Zeitung. Linke und SPD müssten zur Zusammenarbeit finden. "Aber das funktioniert nur mit Achtung voreinander und nicht mit Abwerbeversuchen." Auch in der Unzufriedenheit mit der eigenen Partei drücke sich Verbundenheit mit ihr aus, so Brie. Gabriels Vorstoß zeuge letztlich von dessen "Feigheit, eine Kooperation zwischen Linken und SPD auf den Weg zu bringen".

Durch seinen ausdrücklichen Hinweis, die SPD auch für frühere SED-Mitglieder zu öffnen, hat Gabriel gestern zweifellos mit einem Tabu gebrochen. Allerdings hatte Andrea Nahles der Parteiführung schon vor zwei Jahren intern geraten, die Abwerbung eher geräuschlos zu betreiben: Demonstrative Appelle könnten mehr schaden als nützen.

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