Von einem, der vieles verlor

Hannover · Seit gestern ist das Urteil im Fall Christian Wulff rechtskräftig. Damit endet ein spektakuläres Kapitel bundesdeutscher Zeitgeschichte, in dem auch Justiz und Medien eine fragwürdige Rolle spielten.

. Am Freitag dem 13. machte die Staatsanwaltschaft Hannover aktenkundig, dass sie ihre Revision im Fall Wulff zurückzieht. Damit ist der Freispruch des Landgerichts Hannover vom 27. Februar 2014 rechtskräftig. Es endet ein spektakuläres Kapitel bundesdeutscher Zeitgeschichte, bei der die Judikative eine ebenso fragwürdige Rolle spielte wie die "vierte Gewalt " im Staate, die Medien.

Erst am Dienstag hatte Christian Wulff , der frühere Bundespräsident und Ministerpräsident von Niedersachsen, sein Buch "Ganz oben ganz unten" vorgestellt. "Bild", "Spiegel" und "FAZ" würdigten seine Sicht der Dinge als "Abrechnung". Die Wertung kommt nicht von ungefähr, denn vor allem diese drei Gazetten haben den Sturz des damaligen Präsidenten mit aggressiver Dialektik betrieben. Sie sehen den Fall und die Amtsführung des angeblichen Delinquenten bis heute kritisch, was insofern nachvollziehbar ist, als dass sie ihre eigene Berichterstattung im Fall Wulff sonst konterkarieren müssten. Wo man doch bloß um Aufklärung und investigativen Journalismus bemüht war.

Der Fall hatte recht unspektakulär begonnen: "Der Spiegel" wollte 2010 wissen, wie das Ehepaar Wulff sein neues Familienhaus in Großburgwedel finanziert habe und begehrte Einblick ins Grundbuch. Das Hamburger Magazin hatte einen Tipp bekommen, vermutlich aus Wulffs Hannoveraner Milieu, das längst nicht mehr nur aus Freunden bestand. Der smarte CDU-Aufsteiger Wulff, lange Jahre Liebling der Konservativen, hatte sich erdreistet, seine Frau zu verlassen und eine neue Beziehung einzugehen. Das war sein erster Fehler. Der zweite war die Öffnung seines Privatlebens gegenüber der Boulevardpresse "in der Hoffnung, dann in Ruhe gelassen zu werden". Der dritte Fehler war es, eine parlamentarische Anfrage der Opposition im Landtag zum Hauskredit formalistisch beantworten zu lassen. Diese "Lüge" sollte ihn teuer zu stehen kommen, denn Wulff verlor am Ende alles: Amt, Ruf, Haus, Familie.

Die Rolle der Medien in diesem Fall ist hinreichend beschrieben worden, sie wähnten sich auf dem richtigen Weg, ein womöglich skandalöses Verhalten des früheren Ministerpräsidenten und späteren Staatsoberhaupts aufdecken zu können. Wulff hatte selbst genug Munition geliefert, insbesondere mit dem instinktlosen Urlaub im Luxusdomizil des umstrittenen Finanzmaklers Carsten Maschmeyer auf Mallorca. Wulffs Verhalten animierte die Medien geradezu, den Fall als sportliche Herausforderung zu betrachten. Und je mehr die Reporter recherchierten und nachfragten, umso mehr igelten sich Wulff und sein Beraterteam im Schloss Bellevue ein.

Nachdem die Meute Blut geleckt hatte, gab es kein Halten mehr: Der Präsident wurde als Lügner, Schnäppchenjäger und eine Art Schmarotzer dargestellt, der - natürlich - auch ein ziemlich lausiger Präsident sei. In dieser Situation beging der schon waidwunde Wulff seinen schwersten Fehler: Er rief den Chefredakteur der Bildzeitung an, um sich drohend zu beschweren - und sprach auf dessen Mailbox. Obwohl Wulff sich wenig später dafür entschuldigte, brach der Redakteur die Vertraulichkeit des Wortes und stach die Mailbox-Nachricht an die FAZ durch. In der so ausgelösten Empörungswelle ("Wulff bedroht die Pressefreiheit!") ging der Präsident gnadenlos unter. "Bild" konstruierte noch einen "Vertuschungsversuch" bei der Bezahlung eines Sylturlaubs, danach sah die Staatsanwaltschaft die "Erheblichkeitsschwelle" überschritten: Die Behörde, deren oberster Dienstherr der Justizminister und ausgewiesene Wulff-Feind Bernd Busemann war, beantragte die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten. Der Rücktritt wurde unvermeidlich.

Der eigentliche Skandal sollte aber erst folgen: Obwohl die Vorwürfe eher dürftig waren und ausschließlich auf Presseberichte zurückgingen, drehten 24 Staatsanwälte und Polizisten über ein Jahr lang jeden Stein im Leben des Ex-Präsidenten um. Es gab Hausdurchsuchungen, Kontendurchforstungen und Zeugenbefragungen, sogar die Kosmetikerin von Ehefrau Bettina musste aussagen. Auf mehr als 30 000 Seiten listeten die Ermittler ihre Ergebnisse auf - die am Ende auf eine "Bestechung" von 719,40 Euro zusammen schnurrten. Wegen dieses Betrags, vom Landgericht noch auf den Vorwurf der "Vorteilsannahme" (§ 331 StGB) reduziert, wurde das ehemalige Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland angeklagt.

Der SPD-Abgeordnete Peer Steinbrück, früher Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat, schämt sich mittlerweile über einen Vorgang, den er "gewalttätigen Journalismus " nennt. Es beschämt ihn, "dass ich den richtigen Zeitpunkt für eine Geste gegenüber Christian Wulff verpasst habe". Tatsächlich hat die politische Klasse die Demontage ihres damals prominentesten Mitglieds von der Zuschauer-Loge aus wortlos verfolgt. Das ist der Punkt: Nur namhafte Vertreter der politischen Klasse hätten mit kritischen Einwänden den "Ermittlungs-Exzess" (Süddeutsche Zeitung) vielleicht etwas abmildern können. Ein Rechtsstaat, der fast drei Millionen Euro Steuergeld ausgibt, um seinem obersten Repräsentanten eine angebliche Korruption in Höhe von 719,40 Euro vorhalten zu können, mag objektiv und unvoreingenommen wirken. De facto hat er seinem ehemaligen Präsidenten verwehrt, was jedem Bürger zusteht: dass der "Sinn für Verhältnismäßigkeit" (Steinbrück) gewahrt bleibt.

Zum Thema:

ChronologieMit einem günstigen Privatkredit für das Eigenheim in Burgwedel ging die Affäre los, die 2012 zum Rücktritt von Christian Wulff als Bundespräsident führte. Eine Chronologie der Ereignisse: 25. Oktober 2008: Christian Wulff , damals niedersächsischer Ministerpräsident, erhält von einer Unternehmergattin einen Privatkredit über 500 000 Euro zum Kauf eines Hauses. 18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine Anfrage im Landtag, er pflege keine geschäftlichen Beziehungen zu dem Unternehmer. Den Kredit verschweigt er. 13. Dezember 2011: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung. 22. Dezember 2011: Bundespräsident Wulff entschuldigt sich und entlässt seinen Sprecher Olaf Glaeseker. 16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt die Aufhebung der Immunität Wulffs. 17. Februar 2012: Wulff erklärt seinen Rücktritt. Die Staatsanwaltschaft beginnt, wegen möglicher Vorteilsannahme zu ermitteln. 7. Januar 2013: Das Ehepaar Wulff hat sich getrennt. 12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft klagt Wulff wegen Bestechlichkeit an. 14. November 2013: Die Hauptverhandlung gegen Wulff beginnt. 27. Februar 2014: Das Landgericht spricht Wulff frei. 5. März 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt Revision gegen den Freispruch. 13. Juni 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover gibt bekannt, dass sie nach Prüfung der Urteilsbegründung ihre Revision zurücknimmt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort