Von Eierlikör und Tränendrüsen

Berlin · Warum knüpfen sich an den Last-Minute-Swing so große Hoffnungen? Welche Rolle spielt der Eierlikör? Und was ist der Deichgraf-Effekt? Der Kampf um die Gunst der Wähler macht erfinderisch – in jeder Hinsicht.

Der Wahlkampf folgt seinen ganz eigenen Regeln. Ein Glossar wichtiger Begriffe beim Kampf um Wählerstimmen: Aktionismus: Der Infostand in der Fußgängerzone lockt weder Bürger noch Reporter hinter dem Ofen hervor. Deshalb versuchen Parteien, mit ausgefalleneren Aktionen für ihre Ideen zu werben. So empfehlen etwa die Jusos, der SPD-Nachwuchs, ihren Wahlkämpfern "Mindestlohnlimbo", Politiker-Speeddating in der Fußgängerzone und "Guerilla Gardening" - dabei sollen die Aktivisten mit roten Primeln den Parteischriftzug in brachliegende Beete pflanzen. Deichgraf-Effekt: Kriege, Krisen, Katastrophen - sie zählen zu den großen Unbekannten, die ohne Vorwarnung in Wahlkämpfe hereinbrechen können. So wie beispielsweise die Flutkatastrophe in Deutschland 2002. In der Regel nützt ein solches Ereignis vor allem der Regierung. Während sie handelt, kann die Opposition höchstens Forderungen stellen und muss dabei aufpassen, nicht in den Verdacht zu geraten, eine Tragödie zu instrumentalisieren. Eierlikör: Wahlkampf ist Kontaktsport, heißt es. Auch in Zeiten von Twitter und Facebook setzen Parteien auf das direkte Gespräch am Infostand und bei Hausbesuchen. "Tür-zu-Tür-Besuche haben eine solche Ausstrahlungs- und Mobilisierungskraft, dass sie Wahlkämpfe entscheiden können", schreiben die Jusos in ihrem Wahlkampfhandbuch. Der SPD-Kanzlerkandidat und bekennende Weinliebhaber Peer Steinbrück hat angekündigt, dass er bei dieser Gelegenheit sogar Eierlikör trinken würde - falls er ihm angeboten wird. Give-Aways: FDP-Kugelschreiber, Kondome der Jungen Union mit der Aufschrift "Black is beautiful" oder rote Handysocken der Linken - im Wahlkampf geben sich alle Parteien spendierfreudig, zumindest bei den kleinen Geschenken am Infostand. Last-Minute-Swing: Wer in der Wählergunst hinten liegt, hofft auf einen Stimmungsumschwung in letzter Minute. Beispiel ist die Wahl 2002: Das ganze Jahr führte Schwarz-Gelb in den Umfragen, erst eine Woche vor der Wahl zog Rot-Grün vorbei und verteidigte letztlich knapp die Mehrheit. Allerdings spielten der Irak-Krieg und die Flutkatastrophe der Regierung in die Karten. Mobilisierung: Die Wahlbeteiligung schrumpft seit Jahren. Dadurch wird es für Parteien immer wichtiger, ihre Anhänger überhaupt in die Wahllokale zu bringen. Die Union drehte diese Argumentation 2009 um - ihre Strategie firmiert bei Wahlforschern als "asymmetrische Demobilisierung". Das Ziel: möglichst wenig Kontroverse im Wahlkampf. Denn - so die Überlegung - SPD-Wähler bleiben bei mangelnden Aufregerthemen eher zu Hause als Konservative, eine niedrigere Wahlbeteiligung hilft also der Union. Spin Doctor: Der Trend zu externen Wahlkampfberatern kommt aus den USA und hielt mit der zunehmenden Professionalisierung der Wahlkämpfe auch in Deutschland Einzug. "Sie sind die ,Einflüsterer', die den Reden und den Ereignissen im Umfeld des Spitzenkandidaten oder der Spitzenkandidatin einen bestimmten Drall geben, in der Tennissprache einen ,spin'", erklärt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte in einem Buch zum Thema. Tränendrüse: Emotionen können im Wahlkampf Sympathiepunkte bringen. Kanzlerin Angela Merkel plauderte kürzlich über ihren Lieblingsfilm und die Jugend in der DDR, Herausforderer Peer Steinbrück ließ sich gemeinsam mit seiner Frau Gertrud auf großer Parteibühne interviewen - und sorgte für Schlagzeilen, weil ihm dabei die Tränen kamen.

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