Von der "französischen Intrigenpolitik" zum "grossherzigen Schritt Frankreichs"

Saarbrücken. Die Meldung sticht sofort ins Auge: "Telegramme: Frankfurt, 10. Mai, 2 Uhr. Der definitive Friede ist soeben unterzeichnet worden", prangt in dicken schwarzen Lettern auf Seite 3 der Saarbrücker Zeitung vom 11. Mai 1871

Saarbrücken. Die Meldung sticht sofort ins Auge: "Telegramme: Frankfurt, 10. Mai, 2 Uhr. Der definitive Friede ist soeben unterzeichnet worden", prangt in dicken schwarzen Lettern auf Seite 3 der Saarbrücker Zeitung vom 11. Mai 1871. Mit dem "Frieden von Frankfurt" ist der Deutsch-Französische Krieg formell beendet, der im Februar in Versailles geschlossene Vorfrieden bestätigt und ergänzt. Doch das deutsch-französische Verhältnis ist zerstört. "Wider die französische Intrigenpolitik" titelt die SZ am gleichen Tag auf der ersten Seite. Darin werfen die Journalisten dem französischen Staatspräsidenten Adolphe Thiers "Verschleppung der Friedensverhandlungen" vor. So groß das Misstrauen in die Dritte Republik Frankreichs war, so groß war das Vertrauen in Otto von Bismarck: "Es ist anzunehmen, daß die Verhandlungen, welche der Reichskanzler mit Herrn Jules Favre in Frankfurt a.M. führt, den Versailler Intriguen, soweit sie auf eine Schädigung der deutschen Interessen gerichtet sind, ein Ende machen werden." Mit den erreichten Ergebnissen zeigte sich die Zeitung am 19. Mai zufrieden: "So weit ersichtlich, hat Deutschland sich nicht darüber zu beklagen, dass es beim definitiven Friedenschlusse den Präliminar-Bedingungen gegenüber zu kurz gekommen ist." Doch währte der Friede nicht lange, 33 Jahre später brach der Erste Weltkrieg aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich 1945 die Seiten vollends getauscht, Frankreich durfte sich dieses Mal zu den Siegermächten zählen.Am Abend des 10. Mai 1949 wählte die Vollversammlung des Parlamentarischen Rates der drei westlichen Besatzungszonen mit 33 zu 29 Stimmen Bonn zur Bundeshauptstadt. Dazu äußerte sich die Saarbrücker Zeitung drei Tage später skeptisch: "Die deutsche Bundesrepublik scheint mit der Wahl Bonns zur Hauptstadt einen schlechten Start gemacht zu haben. Sowohl von alliierter als auch von deutscher Seite wurde lebhafte Kritik laut. (. . .) Im Grunde rechnet man schon damit, die Hauptstadt Deutschlands in absehbarer Zeit weiter nach Osten zu verlegen. (. . .) Mehr denn je denkt man heute daran, Ostdeutschland zurückzugewinnen (. . .)." Bis dahin sollte es noch 50 Jahre dauern, doch die Weichen in Richtung eines vereinigten Europas wurden schon ein Jahr später gestellt.

Um den Frieden auf dem Kontinent zu sichern sowie die europäische Einigung voranzutreiben, unterbreitete der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 den Vorschlag, den die Saarbrücker Zeitung einen Tag später als die "erste entscheidende Initiative für Europa" bezeichnete. Der "Schuman-Plan" sah vor, die französische und deutsche Kohle- und Stahlproduktion zusammenzulegen und unter die Kontrolle einer gemeinsamen Hohen Kommission zu stellen, an der alle anderen Länder Europas teilhaben könnten. Auf diesen Plan folgte die Gründung der Montanunion am 18. April 1951, die als ein Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft gilt. Noch bei der Pressekonferenz wollten die SZ-Korrespondenten wissen, was der Vorschlag für das Saarland bedeute, hatte doch die 1947 in Kraft getretene saarländische Verfassung den wirtschaftlichen Anschluss an Frankreich festgeschrieben. "Auf unsere Frage, ob die saarländische Kohlen- und Stahlindustrie ebenfalls in die neue Organisation eingereiht werden solle, antwortete der Aussenminister, die saarländische Wirtschaft sei als ein Teil der französischen anzusehen und würde deshalb automatisch einbezogen werden", notierten die Journalisten in der Ausgabe vom 10. Mai 1950.

Einen Tag später bezeichneten sie den Plan als "wirtschaftliche Revolution", die "die Saarfrage nicht nur politisch, sondern wirtschaftlich und dauerhaft lösen" könne. "Seit Jahrzehnten schien es, als ob man an der Saar nur die Wahl haben könnte zwischen Osten und Westen, niemals aber beides. Was nun errichtet werden soll, ist ein einziges, mächtiges Produktionssystem, innerhalb dessen keine politischen Grenzen mehr bestehen." Wie sehr das Vorhaben die deutsch-französischen Beziehungen verbesserte, zeigt die Reaktion von Kanzler Konrad Adenauer, der durch die Einbindung der Saar-Produktion "ein wesentliches Moment der deutsch-französischen Entfremdung aus der Welt geschafft" sah und sprach von einem "grossherzigen Schritt Frankreichs und seines Aussenministers gegenüber Deutschland"

saarbruecker-zeitung.de/

250-jahre

Was sonst noch geschah in der zweiten Mai-Woche:

9. Mai 1876: Der deutsche Erfinder Nikolaus Otto nimmt versuchsweise seinen ersten Viertaktmotor, den Ottomotor, in Betrieb.

9. Mai 1933: Die Nationalsozialisten beginnen in über 20 Städten mit Bücherverbrennungen. • 9. Mai 1976: Ulrike Meinhof, Mitglied der RAF, wird in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim erhängt aufgefunden.

12. Mai 1925: Paul von Hindenburg wird als zweiter Reichspräsident der Weimarer Republik vereidigt.

13. Mai 1981: Der türkische Rechtsextremist Mehmet Ali Agca verübt auf dem Petersplatz in Rom ein Attentat auf Papst Johannes Paul II., das dieser schwer verletzt überlebt.

14. Mai 1948: Israel unter Ministerpräsident David Ben Gurion erklärt seine Unabhängigkeit • 15. Mai 1974: Walter Scheel (FDP) wird zum Bundespräsidenten gewählt.

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