Von den „blauen Engeln“ zum „schwarzen Freitag“

Berlin · Der deutsche Sanitätsfeldwebel Alexander Arndt wurde am 14. Oktober 1993 in Kambodscha auf offener Straße erschossen. Seit seinem Tod haben sich die Bundeswehr und ihre Einsätze radikal verändert.

Ansgar Arndt erfuhr vom Tod seines Bruders aus dem Fernsehen. Am 14. Oktober 1993 war der jetzige Beamte bei der Berufsgenossenschaft auf einem Lehrgang in Hennef bei Bonn, als das Bild seines sechs Jahre jüngeren Bruders in den Abendnachrichten auftauchte. Der Sanitätsfeldwebel Alexander Arndt war in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh auf offener Straße von einem Motorradfahrer erschossen worden.

Der 26-jährige Arndt war der erste Bundeswehrsoldat, der im Einsatz getötet wurde. Am kommenden Montag ist das genau 20 Jahre her. Von den 101 deutschen Soldaten, die nach ihm im Ausland ums Leben kamen, starben 36 wie er durch "Fremdeinwirkung", wie es im Bundeswehrjargon heißt. Von Gefallenen sprach man 1993 noch nicht. Auch Begriffe wie Veteranen oder Krieg waren noch tabu. Die Bundeswehr wurde ins Ausland geschickt, um Verletzte zu versorgen oder Brunnen zu bohren. Der Krieg war noch weit entfernt.

Die UN-Soldaten in Kambodscha wurden "blaue Engel" genannt. Ihr Einsatz sollte der Friedenssicherung in dem südostasiatischen Land nach mehr als zwei Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg dienen. Für die Bundeswehr war die Mission ein Novum: Erstmals beteiligte sie sich im Auftrag der Vereinten Nationen an einem Friedenseinsatz. Insgesamt 445 deutsche Soldaten waren von April 1992 bis November 1993 in der kambodschanischen Hauptstadt stationiert. Arndt zählte zu den letzten, die dorthin entsandt wurden. Er stammt aus einer Soldatenfamilie. Seine vier älteren Brüder hatten sich auf Zeit verpflichtet.

Bittere Erfahrungen

Der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) sagt in einer ersten Reaktion auf den Tod Arndts: "Wir machen jetzt die bittere Erfahrung, die andere Nationen vor uns gemacht haben." Wie bitter die Einsatzerfahrungen der Bundeswehr noch werden würden, ahnte damals aber noch niemand. Nach dem Tod Arndts werden die Bundeswehreinsätze immer zahlreicher und gefährlicher. Somalia, Bosnien, Kosovo, schließlich Afghanistan. Im Juni 2003 ist die Bundeswehr in Kabul erstmals Ziel eines Selbstmordattentats. Bei dem Anschlag auf einen Bus werden vier deutsche Soldaten getötet und 29 verletzt.

Im offiziellen Sprachgebrauch gilt die Mission dennoch sieben weitere Jahre als Stabilisierungseinsatz. Erst als die Gewalt eskaliert, ändert sich das. Am "schwarzen Karfreitag" 2010 wird die Bundeswehr in Kundus in das schwerste Gefecht ihrer Geschichte verwickelt. Drei Soldaten sterben. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg spricht anschließend unumwunden von Krieg.

Die Bereitschaft zu jahrelangen Kampfmissionen ist inzwischen selbst beim wichtigsten Verbündeten USA extrem gering ausgeprägt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und de Maizière haben deswegen die Devise "Ertüchtigung statt Einmischung" für die deutsche Sicherheitspolitik ausgegeben. Mit anderen Worten: Lieber Soldaten vertrauenswürdiger Partner zur Krisenbewältigung ausbilden, statt selbst welche zu entsenden. Und lieber Waffen liefern, als die eigenen Soldaten schießen zu lassen.

Wie es im Moment aussieht, wird die Bundeswehr nach dem Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan so wenige Soldaten im Auslandseinsatz haben wie seit den 90er Jahren nicht mehr. Die Zahl könnte unter 3000 rutschen. Das kann sich aber schnell ändern. Ansgar Arndt ist trotz des Todes seines Bruders sicher, dass die Beteiligung der Bundeswehr an der Bewältigung internationaler Krisen richtig ist. Man könne das nicht einfach den Nato-Partnern überlassen und nur mit dem Scheckheft winken, sagt er.

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HintergrundDas Verteidigungsministerium lässt für rund zwei Millionen Euro eine neue zentrale Gedenkstätte für gefallene Soldaten bauen. Sie soll laut "Welt am Sonntag" am Volkstrauertag 2014 in Geltow bei Potsdam eröffnet werden, auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr. Der erste Spatenstich sei in diesem Monat geplant, hatten zuvor die "Potsdamer Neuesten Nachrichten" berichtet. Die Pläne für den Gedenkort haben bereits konkrete Formen angenommen. Geplant sind ein mit Stelen gesäumter Weg sowie ein "Wald der Erinnerung". dpa

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