Vom Mister Euro zum Mister Europa

Straßburg · Nach der Wahl durch das EU-Parlament steht der Luxemburger Jean-Claude Juncker als neuer Kommissionspräsident fest. Vom ehemaligen Chef der Eurogruppe wird nicht weniger erwartet als der Umbau der EU.

Neun Jahre lang war er "Mister Euro ". Am 1. November wird Jean-Claude Juncker "Mister Europa". Mit 422 Stimmen (nötig waren 376) hat das Europäische Parlament in Straßburg den 59-jährigen Luxemburger zum mächtigsten Mann der EU gewählt. Er folgt José Manuel Barroso als Chef der Europäischen Kommission nach, jenem Machtzentrum der Union, in dem 27 Kommissare aus den Mitgliedstaaten (der Präsident selbst vertritt sein Heimatland) und 33 000 Beamte Gesetze anstoßen, ausarbeiten und deren Einhaltung überwachen. "Europas Regierungszentrale" wird diese Institution gerne genannt. Obwohl die Kommission neben dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament sowie den Staats- und Regierungschefs nur eine von mehreren Rollen spielt. Es ist dieses Europa, das Juncker nach dem Willen aller EU-Politiker erneuern, umbauen, verändern soll. "Die EU ist umständlich geworden", sagte er selbst, als er am gestrigen Dienstag noch einmal vor die 751 Volksvertreter in Straßburg trat, um um deren Zustimmung zu werben. Er bekam sie. Aber die Erwartungen an ihn sind hoch. "Die Distanz zwischen den Bürgern und Europa ist groß geworden", bekannte er. Das Stichwort "Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit" werde von vielen mit "Sozialabbau " übersetzt. Dabei sei es die "Pflicht der Wirtschaft, den Menschen zu dienen."

Juncker, der praktisch jedes Gesetz zur Finanzmarktregulierung in den Krisenjahren mitformulierte, verteidigt gestern die Stabilitätspolitik, gibt sogar - offen und emotional - zu: "Ich bin stolz, dass Griechenland, dieses tüchtige Volk, immer noch Mitglied der Euro-Gruppe ist." Er verspricht ein Wachstumsprogramm über 300 Milliarden Euro , mit dem er die Arbeitslosigkeit bekämpfen will. "Denn mitten in der EU entsteht gerade ein 29. Staat, in dem die wohnen, die keine Arbeit haben." Das werde er mit einem "Investitionsprogramm" verhindern. Es gibt viel Beifall, aber auch Buh-Rufe. Juncker hat dennoch die politische Mitte dieser Volksvertretung um sich scharen können. 250 Gegenstimmen sind allerdings auch kein Pappenstiel - sogar Mitglieder der großen Fraktionen sprachen sich gegen ihn aus. Die Zweifel haben nicht nur etwas mit der grundsätzlichen Ablehnung der Rechten oder EU-Skeptiker zu tun. Juncker selbst bedankte sich, erkennbar aus tiefstem Herzen, bei der Chefin des französischen Front National, Marine Le Pen , dafür, ihn nicht gewählt zu haben. Juncker bringt eben auch seine Lebensgeschichte mit: Sohn eines von den deutschen Besatzern zwangsrekrutierten luxemburgischen Hüttenarbeiters, aufgewachsen im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Frankreich in den Wirren der Nachkriegsjahre . Die EU als Friedensprojekt kommt bei ihm immer wieder durch: "Zwei Wochen Krieg sind teurer als zehn Jahresbudgets der EU", formulierte er im Wahlkampf. Was ihm nun vorschwebt, ist ein Kommissionsteam, in dem mindestens 40 Prozent Frauen vertreten sein sollen, derzeit hat nur Rom angekündigt, eine Politikerin nach Brüssel schicken zu wollen.

Als der Präsident des Europäischen Parlamentes, Martin Schulz, gestern das "überwältigende Vertrauensvotum für Juncker" bekanntgab, nannte er d iese Abstimmung eine "fundamentale Richtungsänderung" innerhalb der EU. Zum ersten Mal hatten die Abgeordneten den Kandidaten der siegreichen Partei gegen den erklärten Willen des EU-Gipfels durchgesetzt. "Das ist ein Präsident, der endlich mal nicht aus den Hinterzimmern kommt", drückte Peter Simon (SPD ) aus, was viele dachten.

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Auf einen BlickJean-Claude Junckers Beförderung auf den Chefsessel der Kommission steht fest. Andere Jobs sind noch zu vergeben. Am heutigen Mittwoch treffen sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel . Dann sollen die übrigen Posten besetzt werden. Gefunden werden muss ein neuer EU-Ratschef (bisher Herman Van Rompuy), ein neuer EU-Außenbeauftragter (bisher Catherine Asthon) sowie ein hauptamtlicher Chef der Euro-Finanzminister. dpa

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