Vom großen Glück, größer zu werden

</bu_text>Lebach/Wadern. Bevor der Professor den Oberschenkel-Knochen durchsägen kann, wird es blutig. Wie einen mächtigen Korkenzieher dreht er einen Metallbohrer vorsichtig in die Knochenröhre, um Platz zu schaffen für die Spezialsäge und den spargeldicken Nagel, das Kernstück der Beinverlängerung

 Aus 1,45 wird 1,65: Zweieinhalb Jahre und 20 Zentimeter liegen zwischen diesen Bildern einer jungen Frau, die sich bei Professor Betz ihre Beine verlängern ließ. Fotos: SZ/privat, Ruppenthal

Aus 1,45 wird 1,65: Zweieinhalb Jahre und 20 Zentimeter liegen zwischen diesen Bildern einer jungen Frau, die sich bei Professor Betz ihre Beine verlängern ließ. Fotos: SZ/privat, Ruppenthal

</bu_text>Lebach/Wadern. Bevor der Professor den Oberschenkel-Knochen durchsägen kann, wird es blutig. Wie einen mächtigen Korkenzieher dreht er einen Metallbohrer vorsichtig in die Knochenröhre, um Platz zu schaffen für die Spezialsäge und den spargeldicken Nagel, das Kernstück der Beinverlängerung. Beim Rausdrehen ist das Gewinde des Bohrers blutverschmiert, auch die Handschuhe färben sich rot. Doch für eine Operation mit derart - im wahrsten Sinne - großen Folgen geht es insgesamt sachte zu. Ein kleiner Schnitt mit dem Skalpell an der Hüfte, ein winziger am Knie - die Narben werden bald kaum noch zu sehen sein.Später wiederholt sich die Prozedur am rechten Bein. Nach drei bis vier Stunden ist die OP vorbei, dann sind die Beine zum Wachsen bereit. Genau deshalb kommen Menschen aus aller Welt ins Saarland: um größer zu werden. Eigentlich sind sie kerngesund, doch es macht sie krank, dass sie klein sind. Auch ein 1,73 Meter großer Mann kann sich als Zwerg fühlen und in seiner Haut so unwohl, dass er viele Schmerzen in Kauf und viel Geld in die Hand nimmt, um ein paar Zentimeter länger zu werden. Zehn, 15, 20 Zentimeter. Professor Augustin Betz hat Menschen auch schon 25 Zentimeter größer gemacht.

Der Unfallchirurg, aufgewachsen in Schmelz-Primsweiler, hatte sich früh auf Beinverlängerungen spezialisiert. Häufig ging und geht es darum, Menschen zu helfen, die mit angeborenen Fehlbildungen leben mussten, einen Unfall oder eine Krankheit überstanden hatten. Seit 1997 operiert Betz aber auch aus rein ästhetischen Gründen. Die Menschen kommen also zu ihm, weil sie größer werden wollen - so wie andere einen größeren Busen oder weniger Falten im Gesicht haben möchten. Inzwischen gibt es für jede zweite OP, die der 59-Jährige im Krankenhaus Lebach ansetzt, keine medizinische Notwendigkeit.

Betz ist vor neun Jahren, nach Stationen in Konstanz und München, in seine Heimat zurückgekehrt. In Wadrill bei Wadern steht das Hauptquartier seines Wachstumsbetriebs. Dort empfängt er Kunden aus Japan, Brasilien, Australien, Kanada, den USA. Die meisten sind zwischen 20 und 40. Doch auch einen 69-Jährigen hat Betz kürzlich operiert. Und junge Damen, die von einer Model-Karriere träumen, aber eigentlich zu klein dafür sind.

Es sind Menschen wie Georg, ein Künstler aus Süddeutschland. Oder David, der smarte Däne. Beide heißen nur in dieser Geschichte so, denn niemand soll von ihrem Plan erfahren. Wie die meisten Menschen, die bei Betz Hilfe suchen, haben sie nur eine Hand voll Leute eingeweiht, um nicht als Spinner zu gelten. Offiziell macht David gerade eine Weltreise.

Dass er "nur" 1,72 Meter groß wurde, liegt an seiner Zeit im Internat, glaubt Georg: "Jeden Morgen gab es nur zwei helle Brötchen und Marmelade aus 'nem Fass." Auch seine Schwester war im Internat, auch sie ist klein. Die übrigen Geschwister wuchsen zu Hause auf und sind etliche Zentimeter größer. Das wird Georg jetzt auch.

Er sei immer der Kleinste gewesen, sagt der 50-Jährige und erzählt, wie er gehänselt wurde und dass die Mädchen auf ihn herabgeschaut hätten: "Das vergisst du nie. Du bist ständig unzufrieden, haderst mit dem Schicksal. Das frisst dich auf." Schon mit 20 träumte er: "Es wird einen Arzt geben, der mir helfen kann." Jetzt liegt er im Saarland in der Reha und hat das Gröbste überstanden.

Drei Tage nach der OP war Georg am Tiefpunkt. "Da hätte ich mich am liebsten hinter den Zug geworfen", sagt er und kann wieder lachen. Was ihn fertig machte, ist das "Klicken" - jene Wachstumsphase, in der die Patienten selbst gefordert sind. Denn man wacht nicht auf und hat lange Beine. 15 Mal pro Tag und Bein muss man die Knie anwinkeln und in eine bestimmte Position drücken, bis es tatsächlich deutlich hörbar "klick" macht. Dann verlängert sich der Nagel im Knochen, der ähnlich funktioniert wie eine Auto-Antenne, um 0,07 Millimeter. "Man muss die Schmerzen überwinden und weiterdrücken. Auch wenn man meint, jetzt bricht das Bein", erklärt Georg. Weil er zehn Zentimeter wachsen will, muss er drei Monate klicken. Parallel dazu bildet der Körper Knochengewebe, das allmählich verhärtet. Nach gut einem Jahr ist der Knochen wieder zusammengewachsen und voll belastbar.

David, der Däne, ist 23 und 1,73 Meter groß, als er Betz kontaktiert. In seinem sonst perfekten Leben gibt es nur ein einziges Problem: "Mein Vater ist über 1,80, mein Bruder auch. Nur ich nicht." Noch nicht.

David hat Jahre nach einem Spezialisten gesucht. Häufig las er von Beinverlängerungen, bei denen Drähte durch die Haut zum Knochen verlaufen, man ein Gestell trägt, Wunden hat. "Barbarisch" nennt er diese Methode, die fast überall auf der Welt noch immer Standard ist. "Das Risiko, die Schmerzen - das war es mir dann doch nicht wert. Ich wollte keinen Metzger an meine Beine lassen."

Aber seinen großen Traum vom Großsein wollte er nicht aufgeben. Dann half das Internet, ein Anruf in Wadrill - drei Wochen später saß er im Flieger. Erst kommen die Oberschenkel dran, sie sollen sechs Zentimeter wachsen. Später will David die Unterschenkel um vier Zentimeter verlängern lassen. Für die Oberschenkel-OP plus zwei Wochen Krankenhaus plus Betreuung plus Entfernen der Nägel bezahlt David knapp 50 000 Euro. "Eine Investition fürs Leben", sagt er.

"Fast alle sprechen später von der besten Investition ihres Lebens", sagt Professor Betz, der oft erfahren hat, wie sehr die Menschen an ihrem offensichtlichen oder angeblichen Zwergendasein leiden: "Das sind menschliche Dramen bis hin zu Selbstmordgedanken." Gut 350 Mal hat er bislang aus kosmetischen Gründen operiert. Dass man seine Patienten und ihn selbst als Spinner abtut, nimmt er gelassen: "Ich sehe doch, wie glücklich und zufrieden die Menschen nachher sind, wie sehr sie sich von einer Last befreit fühlen." Mit dem Skalpell, sagt Betz, "kann ich seelische Probleme vielleicht manchmal besser lösen als ein Psychologe".

Bei Georg ist genau das passiert. "Ich bin viel ausgeglichener und empfinde jeden Morgen tiefe Dankbarkeit. Der Professor hat mein Leben verändert. Der Herr Professor ist medizinisch und menschlich ein Gott." "Fast alle sprechen

später von der besten Investition ihres Lebens."

 Röntgenbild nach der OP: Die beiden mächtigen Nägel im Oberschenkelknochen machen die Beinverlängerung möglich.

Röntgenbild nach der OP: Die beiden mächtigen Nägel im Oberschenkelknochen machen die Beinverlängerung möglich.

Professor Augustin Betz

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