Vom Gebot des zivilen Umgangs

Tucson. Als der Präsident im McKale Memorial Center der Universität von Arizona über die kleine Christina sprach, rang er mit der Fassung. Ehefrau Michelle weinte. Wie viele der 14 000 Zuhörer, die für die Gedenkfeier zu Ehren der Opfer der Tragödie vom vergangenen Samstag stundenlang auf Einlass gewartet hatten

 Ein Herz mit einem Foto der getöteten Christina Green hängt am Zaun der Schule, in die die Neunjährige ging. Foto: dpa

Ein Herz mit einem Foto der getöteten Christina Green hängt am Zaun der Schule, in die die Neunjährige ging. Foto: dpa

Tucson. Als der Präsident im McKale Memorial Center der Universität von Arizona über die kleine Christina sprach, rang er mit der Fassung. Ehefrau Michelle weinte. Wie viele der 14 000 Zuhörer, die für die Gedenkfeier zu Ehren der Opfer der Tragödie vom vergangenen Samstag stundenlang auf Einlass gewartet hatten. Obama erinnerte an die Neugierde, mit der die Neunjährige zu der Veranstaltung mit der US-Abgeordneten Gabrielle Giffords gekommen war. Um dann im Kugelhagel eines Wahnsinnigen ums Leben zu kommen.

Das Mädchen habe gerade begonnen, sich für Demokratie zu interessieren. "Sie sah all das durch die Augen eines Kindes, ungetrübt durch den Zynismus oder die Boshaftigkeit, an die wir Erwachsenen uns schon so lange gewöhnt haben." Er fühle sich verpflichtet, diesen Hoffnungen gerecht zu werden. "Ich möchte, dass unsere Demokratie so gut ist, wie Christina sie sich vorgestellt hat. Alle von uns sollten tun, was wir können, um unser Land den Erwartungen seiner Kinder gerecht werden zu lassen."

Obama setzte bei der Gedenkveranstaltung insgesamt einen sehr persönlichen Ton. Mehr Prediger als Politiker. "Statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen und Schuld zu verteilen, lasst uns diese Gelegenheit nutzen, unsere moralische Vorstellungskraft zu erweitern, einander sorgfältiger zuzuhören, unser Einfühlungsvermögen zu stärken und uns daran zu erinnern, wie sehr unsere Hoffnungen und Träume miteinander verwoben sind." Ausdrücklich nahm der Präsident Abstand von jedem Versuch, die Tragödie zu politisieren. Stattdessen erinnerte Obama an den Mut von Patricia Maisch, die eine noch größere Katastrophe verhinderte, als sie dem Täter ein Magazin wegschnappte, das dieser beim Nachladen auf den Boden fallen ließ. Er lobte die Männer, die den Attentäter Jared Loughner überwältigten.

Der Präsident erzählte von einem vorher nicht angekündigten Besuch auf der Intensivstation bei der schwer verletzten Gabrielle Giffords. "Ihr Ehemann Mike hat mir erlaubt, es Ihnen zu sagen", sagte Obama. "Gaby hat die Augen das erste Mal wieder geöffnet." Ein emotionaler Moment, der stehenden Applaus auslöste.

Selbst eingefleischte Kritiker des Präsidenten wie der konservative Kolumnist Charles Krauthammer lobten den Ton, den Obama bei der Gedenkveranstaltung setzte. Im Unterschied dazu bereitete die mögliche Herausforderin Obamas bei den Präsidentschaftswahlen 2012, Sarah Palin, ihren Parteifreunden weitere Kopfschmerzen. Sie brachte gestern eine Videobotschaft in Umlauf, in der sie sich als Opfer der Tragödie von Tucson darstellt. Darin weist sie jede Verantwortung für das giftige Klima zurück, vor dessen Hintergrund sich das Attentat gegen die Abgeordnete Gabrielle Giffords ereignete. "Solche monströsen Verbrechen stehen für sich", erklärte Palin. Damit spielte sie auf die Kritik an Wahlkampfmaterial an, in dem sie die Wahlbezirke demokratischer Kandidaten mit Fadenkreuzen versehen hatte. Auf Palins politischen "Abschussliste" rangierte Giffords auf Platz vier.

Meinung

Überfällige Debatte

Von SZ-Mitarbeiter

Friedemann Diederichs

Kann eine einzige gelungene Rede den Graben zuschütten, der sich zwischen Amerikas Konservativen und dem linken Spektrum aufgetan hat? US-Präsident Obama hat jedenfalls mit seiner Ansprache für die Opfer des Attentats von Tucson das geleistet, was ihm in dieser Position möglich war: Zur Versöhnung aufgerufen und historische Worte dafür gefunden, dass sich das Land eine weitere Vergiftung des politischen Klimas nicht leisten kann - selbst wenn es bisher keine klaren Indizien für eine Beeinflussung des Täters durch die aufgeheizte Rhetorik vor allem bei den Rechten im Land gibt.

Obamas Verdienst ist es, mit klugen Worten und unter Verzicht auf billige Schuldzuweisungen die überfällige Debatte über den oft verletzenden Stil des politischen Diskurses angestoßen zu haben.

Am Rande

Wenige Tage nach dem Anschlag von Tucson in Arizona ist im benachbarten Bundesstaat Kalifornien ein Mann wegen Drohungen gegen einen US-Parlamentarier festgenommen worden. Der 32-Jährige sei in Palm Springs gefasst worden, teilte die Polizei gestern mit. Er habe zuvor in zwei Telefonanrufen den demokratischen Parlamentarier des Bundesstaates Washington, Jim McDermott, in vulgärer Sprache mit dem Tode bedroht. afp

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort