Vom Elend in den Trümmer-Landschaften
Erst waren es die Bilder weggespülter Städte, dann die Aufnahmen der Explosionen im Atomkraftwerk Fukushima, die den Horror des japanischen Erdbebens und Tsunamis verkörperten
Erst waren es die Bilder weggespülter Städte, dann die Aufnahmen der Explosionen im Atomkraftwerk Fukushima, die den Horror des japanischen Erdbebens und Tsunamis verkörperten. Doch eine Woche nach der Naturkatastrophe wird zunehmend ein anderes Motiv zum Symbol des Schreckens: Menschen, die in dünner Kleidung im Schnee nach Rettungshubschraubern Ausschau halten; alte Frauen, die in Trümmern nach Essbarem suchen; Männer, die aus Häusertrümmern Lagerfeuer machen, Kinder, die kraftlos auf Deckenlagern liegen. Die Versorgungslage in den verwüsteten Gebieten wird allmählich kritisch, berichten japanische Medien und erschüttern damit eine der wenigen Gewissheiten, auf die im Angesicht der Zerstörung Verlass schien: dass Japans Regierung auf Erdbeben gut vorbereitet ist.Die Organisation "Save the Children" bezeichnete die Lage in den Evakuierungszentren als dramatisch. "Tausende Kinder leiden unter der mangelnden Versorgung mit lebenswichtigen Hilfsgütern", urteilt der Kinderschutzverband. "Nach dem plötzlichen Wintereinbruch im Nordosten Japans fehlt es vor allem an Heizmaterial, Decken und warmer Kleidung." Außerdem gebe es zu wenig zu essen und kaum sauberes Wasser. Besonders Babymilch sei knapp.
Nach offiziellen Angaben sind inzwischen 6911 Leichen geborgen worden. 10 316 Menschen werden noch vermisst. Rund eine halbe Million Japaner haben ihre Wohnung verloren, schätzen die Vereinten Nationen. 1,6 Millionen Menschen haben derzeit keinen Zugang zu Trinkwasser, 452 000 keinen Strom. Die Obdachlosen hausen in Schulsporthallen, Krankenhäusern oder was sonst von ihren Städten übrig geblieben ist. Zum Wochenanfang machte noch ein Kälteeinbruch den Menschen und Helfern das Leben schwer. Die Überreste von Minamisanriku, einer der am schwersten betroffenen Städte, in der rund 10 000 der 17 000 Einwohner als tot oder vermisst gelten, liegen inzwischen unter einer dicken Schneeschicht. Auch in anderen Orten herrschen winterliche Verhältnisse.
Dabei scheint es, als könne es an Helfern kaum mangeln. Die japanische Armee hat 80 000 Soldaten für die Rettungseinsätze abgestellt. Auch die in Japan stationierten US-Truppen beteiligen sich an humanitären Einsätzen. Doch selbst die Amerikaner klagen inzwischen öffentlich, dass sie gerne mehr Hilfsgüter verteilen würden - wenn diese denn nur zur Verfügung stünden.
Behörden nicht vorbereitet
Dabei wäre es scheinbar nur eine Frage der Koordination, die nötigen Waren aus dem Süden des Landes in den Norden zu schaffen. Doch offenbar sind die Behörden auf eine derartige Mobilisierung nicht vorbereitet.
Nicht nur aus den Tsunamigebieten, sondern auch aus den Auffangzentren für "Strahlenflüchtlinge", die aus dem Umfeld des Unglücksreaktors Fukushima evakuiert wurden, werden verheerende Zustände berichtet. Obwohl die Hauptstadt Tokio nur gut 200 Kilometer entfernt ist, mangelt es an allem: Lebensmitteln, Wasser, Hygieneartikeln. "Die Regierung verlangt von uns, dass wir nicht rausgehen, aber sie versorgt uns auch nicht", beschwerte sich Katsunobu Sakurai, Bürgermeister eines Ortes am Rande der Evakuierungszone, gegenüber dem japanischen Fernsehsender NHK. "Lastwagenfahrer wollen nicht in unsere Stadt fahren, weil sie Angst vor Verstrahlung haben, aber wenn die Regierung behauptet, wir seien in einer gefährlichen Region, sollte sie sich auch um uns kümmern." Da das Benzin knapp ist und das öffentliche Verkehrsnetz zusammengebrochen, können die Menschen nicht einmal von sich aus die Region verlassen. Wer keine Verwandten oder Freunde hat, die ihn abholen, steckt fest. Im japanischen Fernsehen laufen bereits Programme, in denen die Tsunami-Opfer lernen können, wie sie das Problem mangelnder Toiletten lösen können und wie man aus Handtüchern und Plastiktüten Windeln basteln kann.
Zwar betont die Regierung, dass sie bei der Versorgung Fortschritte mache. Allein am Donnerstag sollen 1,7 Millionen Essensrationen aus Reisbällchen, Nudeln und anderen Lebensmitteln an bedürftige Menschen verteilt worden sein.
Trotzdem räumte Regierungssprecher Yukio Edano am Freitag öffentlich ein, das Ausmaß der Naturkatastrophe habe die Verantwortlichen schlicht "überfordert". Für den Wiederaufbau soll nun ein eigener Minister berufen werden.