Vom Beinahe-Eklat vor der Einheitsfeier

Berlin. Als im Spätsommer 1990 der Wiedervereinigungstermin feststand, der 3. Oktober, machten wir uns an die Vorbereitungen. Ich bekam von Walter Momper den Auftrag, dafür zusammen mit Vertretern der Senatskulturverwaltung ein Konzept zu erarbeiten. Von vornherein war klar, dass es sich um zwei miteinander verwobene Veranstaltungen handeln würde

Berlin. Als im Spätsommer 1990 der Wiedervereinigungstermin feststand, der 3. Oktober, machten wir uns an die Vorbereitungen. Ich bekam von Walter Momper den Auftrag, dafür zusammen mit Vertretern der Senatskulturverwaltung ein Konzept zu erarbeiten. Von vornherein war klar, dass es sich um zwei miteinander verwobene Veranstaltungen handeln würde. Zum einen die offiziellen Staatsakte, allen voran die so genannte Null-Uhr-Zeremonie, der eigentliche Moment der Wiedervereinigung. Zum anderen ein Volksfest für Millionen von Berlinern und Gästen. Wir konzipierten es als ein betont unkommerzielles Fest. Deutschland sollte sich auf 26 Bühnen an der Straße Unter den Linden bis hinauf zum Alexanderplatz als ein Land der Vielfalt, der Zivilgesellschaft und des Bürgerengagements darstellen. Kein Brimborium, sondern viel lokale Kultur. Dass manche Zeitungen hinterher schrieben, das Ganze sei provinziell gewesen, zu viel Würstchenbuden und Stadtteiltheater, war uns allemal lieber als Schlagzeilen, hier habe sich ein wieder größenwahnsinnig gewordenes Deutschland präsentiert. Weniger einfach war es mit der Null-Uhr-Zeremonie. Anfang September traf ich mich mit Abgesandten von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Die Bonner hatten uns vorher ein Konzept übersandt, das wir ablehnten. Die Bundesregierung wollte den Wiedervereinigungsakt auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor feiern. Das Tor war seit dem 9. November 1989 international das deutsche Symbol schlechthin. Die Prominenz sollte auf der Ostseite auf einer Tribüne sitzen, davor das Volk, und über dem Tor sollte um Mitternacht feierlich die Deutschlandfahne gehisst werden. Wir fanden die Inszenierung eine völlig falsche Symbolik. Auf dem Tor hatten nie Fahnen geflattert, außer bei Hitler und eine Zeitlang eine rote Fahne der DDR. Sollte das jetzt dauerhaft anders werden? Denn man würde die "Wiedervereinigungsfahne" ja schlecht am nächsten Tag wieder entfernen können, wie sähe das aus. Der Plan war eine nationale Überfrachtung. Und am wichtigsten: Er war gefährlich. Auf den Platz passten 15 000 bis 30 000 Leute. Weil aber bis zu eine Million Menschen kommen würden, würde es an den Absperrgittern Sicherheitsprobleme geben. Doch die Vertreter der Bundesregierung hielten eisern an ihrem Vorhaben fest. Unser Gegenvorschlag lautete, die Flagge vor dem Reichstag zu hissen. Auf dem Platz der Republik, einst Ort der großen Freiheitskundgebungen mit Ernst Reuter, hatten problemlos Hunderttausende Platz, die Politiker konnten auf der Balustrade des Reichstages stehen.So wurde es am 3. Oktober auch eingerichtet, doch vorher schickten uns die Bonner noch eine Alternatividee: Die Polit-Prominenz aus Ost und West sollte abends im Schauspielhaus auf Ost-Berliner Seite den Abschied von der DDR feiern und von dort dann auf einer Videoleinwand um Mitternacht beobachten, wie die Fahne über dem einstigen Staatsratsgebäude der DDR gehisst wurde. Am Reichstag, der auf Westgebiet liegt, habe man die Deutschlandfahne ja schon immer hissen können, wurde argumentiert. Es gehe darum, dass sie jetzt im Osten gezeigt werde. Wir wiesen das als "Eroberungsgeste" ab, auch die DDR-Regierung unter Lothar de Maizière machte nicht mit. Die ganze Frage war so umstritten, dass Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, Bundeskanzler Helmut Kohl und Walter Momper mehrfach persönlich eingeschaltet waren, ehe zwei Wochen vor der Wiedervereinigung endlich klar war, wie und wo es laufen würde: vor dem Reichstag. Hinter dem Streit stand nicht nur die bekannte Animosität zwischen Momper und Kohl, sondern auch die erbitterte Hauptstadtdebatte. Vor allem das Land Nordrhein-Westfalen und die Bonner Beamten versuchten, Berlin mit allen Tricks auszuhebeln. Wir versuchten dagegen, die deutsche Bevölkerung zu mobilisieren, die mehrheitlich Berlin als Hauptstadt wollte. Ich hatte im Sommer eine bundesweite Anzeigenkampagne gestartet, in der Prominente wie Thomas Gottschalk oder der Tagesthemen-Moderator Hajo Friedrichs für Berlin auftraten. Auch bei unserem Vorschlag, die Flaggen-Zeremonie am Reichstag durchzuführen, hatten wir nicht nur hehre Sicherheitsziele im Blick. Wir wollten an diesem historischen Tag den künftigen Sitz des gesamtdeutschen Bundestages in den Mittelpunkt rücken. Die Bonner wollten eben dieses Symbol um jeden Preis vermeiden. Schließlich haben wir uns durchgesetzt. Und immerhin haben wir am 3. Oktober, 0.00 Uhr, dann doch gemeinsam vor dem Reichstag "Blüh' im Glanze dieses Glückes" gesungen. Übrigens auch Momper und Kohl.

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