Viele tot und keiner richtig schuldigKundus-Affäre: Die Stationen der bisherigen Aufarbeitung

Berlin. "Es wundert mich, dass sich überhaupt noch jemand dafür interessiert", sagt ein Bundestagsmitarbeiter, als er nach den nächsten Sitzungsterminen gefragt wird. Tatsächlich ist der Untersuchungsausschuss zum Kundus-Bombardement nach einem Jahr Arbeit in eine Art finales Siechtum gefallen. Am 10. Februar allerdings dürfte er noch einmal kurz aufwachen

 Afghanische Polizisten untersuchen im September 2009 ausgebrannte Tanklaster. Sie waren bei einem Bombardement zerstört worden, das der deutsche Oberst Klein befohlen hatte. Der Angriff hatte mindestens 70 Zivilisten das Leben gekostet. Foto: dpa

Afghanische Polizisten untersuchen im September 2009 ausgebrannte Tanklaster. Sie waren bei einem Bombardement zerstört worden, das der deutsche Oberst Klein befohlen hatte. Der Angriff hatte mindestens 70 Zivilisten das Leben gekostet. Foto: dpa

Berlin. "Es wundert mich, dass sich überhaupt noch jemand dafür interessiert", sagt ein Bundestagsmitarbeiter, als er nach den nächsten Sitzungsterminen gefragt wird. Tatsächlich ist der Untersuchungsausschuss zum Kundus-Bombardement nach einem Jahr Arbeit in eine Art finales Siechtum gefallen. Am 10. Februar allerdings dürfte er noch einmal kurz aufwachen. Dann sollen nämlich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vernommen werden.

Dass es zum Showdown der Parteigrößen überhaupt noch kommt, liegt an den Grünen, die unbedingt Merkel befragen wollten. Was wusste sie persönlich oder ihr Kanzleramt von den zivilen Opfern jenes verheerenden Einsatzes vom 4. September 2009, als auf Anordnung der Bundeswehr amerikanische Bomben auf zwei im Kundus-Fluss festgefahrene Tanklastwagen fielen, die die Taliban entführt hatten. Ließ Merkel es wissentlich zu, dass Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) Kollateralschäden tagelang ausschloss, vielleicht sogar wegen des laufenden Bundestagswahlkampfes?

Doch dass es in jenen Tagen massive Informationspannen und Fehlinformationen gab, das verneint inzwischen ohnehin keine Partei mehr. "Ich habe an den Aussagen der Kanzlerin keine großen Erwartungen", sagt selbst der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Rainer Arnold. Sein CDU-Gegenüber Ernst-Reinhard Beck nennt die Kanzlerin-Befragung "überflüssig wie einen Kropf" und lässt durchblicken, dass SPD-Mann Steinmeier nur als Gegenmaßnahme für die Vorladung Merkels antreten muss. Von ihm wird noch weniger Neues erwartet. Wenn dieser Verhandlungstermin vorbei ist, wird sich das Ausschuss-Sekretariat endlich zusammen mit der Vorsitzenden Susanne Kastner (SPD) an den Entwurf eines Abschlussberichtes machen. Ende Juni, so Kastner, könne man die Arbeit womöglich abschließen.

Dass die Untersuchung voraussichtlich recht unspektakulär enden wird, hat damit zu tun, dass ihr schon zu Beginn das politische Ziel abhanden kam. Das hieß ursprünglich Franz Josef Jung, jedoch trat der CDU-Verteidigungsminister (er war inzwischen Arbeitsminister geworden) kurz vor der ersten Ausschuss-Sitzung Ende November 2009 von sich aus zurück, als bekannt wurde, wie sehr er kritische Informationen missachtet hatte. Selbst Jungs Parteifreund Beck sagt, dass im Verteidigungsministerium damals viel zu lange an einer nicht mehr haltbaren Version festgehalten wurde, nämlich dass es bei dem Angriff keine zivilen Opfer gab.

Doch da die Opposition schon mal Anlauf genommen hatte, suchte sie ein neues Ziel und wurde schnell fündig: Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Der hatte Ende 2009 seine wichtigsten Beamten entlassen, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert. Sie hätten ihm wichtige Informationen vorenthalten, so dass er seine anfängliche Einschätzung, der Kundus-Einsatz sei angemessen gewesen, habe korrigieren müssen, argumentierte zu Guttenberg. Die Entlassenen widersprachen im Ausschuss heftig; es stand Aussage gegen Aussage. Eine spektakuläre Gegenüberstellung hätte eine Klärung bringen können, doch verweigerte die schwarz-gelbe Mehrheit im Untersuchungsausschuss eine solche für den Minister hochnotpeinliche Aktion. Beim Thema Guttenberg wird der Ausschuss wohl im Streit enden. Die Opposition wird den Verdacht äußern, dass der Minister zwei tüchtige Beamte als Sündenböcke für eine eigene Fehleinschätzung geopfert hat. Die Regierungsparteien werden sagen, dass dafür die Beweise fehlen.

Bleibt das tragische Ereignis selbst. Fast alle an dem Zwischenfall Beteiligten haben vor dem Gremium ausgesagt, von Oberst Georg Klein, der den Bombenabwurf in jener verhängnisvollen Nacht befahl, bis zu Abdul Malek, der einen der Laster fuhr und mit knapper Not überlebte. Nur die amerikanischen Bomberpiloten bekamen keine Aussagegenehmigung. Für Verschwörungstheorien, etwa dass das Ganze Teil einer gezielten, letztlich aber missglückten Geheimoperation von Spezialkräften war, ergaben sich keine Anhaltspunkte. Als erwiesen gilt, dass Oberst Klein die Bombardierung anordnete, weil er glaubte, Taliban zu treffen, und einen Anschlag mit den Lastern auf das Bundeswehrlager befürchtete. Klein ließ jedoch bei seinem Befehl alle Sicherungen außer Acht. Mindestens 70 Zivilisten starben, aber es können auch bis zu 142 gewesen sein. So weit die Erkenntnisse, die weitgehend unstrittig sind. Doch der Untersuchungsausschuss ist kein Gericht. "Wir wollen über Oberst Klein nicht den Stab brechen", sagt SPD-Mann Arnold, der von einem schwerwiegenden Fehler "in einer Situation der Überforderung und des Drucks" spricht. Sein CDU-Kollege Beck sagt, Klein habe Fehler gemacht, "aber das Richtige gewollt". Ihm habe militärisch jedoch keine andere Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestanden als der Bombenschlag.

 Afghanische Polizisten untersuchen im September 2009 ausgebrannte Tanklaster. Sie waren bei einem Bombardement zerstört worden, das der deutsche Oberst Klein befohlen hatte. Der Angriff hatte mindestens 70 Zivilisten das Leben gekostet. Foto: dpa

Afghanische Polizisten untersuchen im September 2009 ausgebrannte Tanklaster. Sie waren bei einem Bombardement zerstört worden, das der deutsche Oberst Klein befohlen hatte. Der Angriff hatte mindestens 70 Zivilisten das Leben gekostet. Foto: dpa

Auch die Bundesanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Klein inzwischen eingestellt. So gibt es am Ende zwar viele Opfer, aber keinen Schuldigen. Die Ausschussvorsitzende Kastner glaubt trotzdem, dass sich die Untersuchung gelohnt hat: "Wir müssen uns auch bei Auslandseinsätzen strikt an unsere rechtsstaatlichen Grundsätze halten. Um das zu zeigen, war dieser Ausschuss notwendig".28. Oktober 2009: Karl-Theodor zu Guttenberg wird im Bundestag als neuer Verteidigungsminister vereidigt. Am selben Tag trifft der Untersuchungsbericht der Nato im Ministerium ein. 6. November: Guttenberg nennt den Angriff "militärisch angemessen". 26. November: Guttenberg entlässt Generalinspekteur Schneiderhan und Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert. Der Minister begründet dies mit vorenthaltenen Informationen über den Angriff. 27. November: Der frühere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung übernimmt die Verantwortung für die interne Informationspolitik und erklärt seinen Rücktritt als Arbeitsminister. 2. Dezember: Zur Aufklärung der Kundus-Affäre beschließt der Verteidigungsausschuss des Bundestages seine Umwandlung in einen Untersuchungsausschuss. Das Gremium konstituiert sich am 16. Dezember. 3. Dezember: Guttenberg bezeichnet das Bombardement im Bundestag als "militärisch nicht angemessen". Neue Dokumente hätten ihn zur Korrektur seiner Meinung veranlasst. 10. Februar 2010: Als erster Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss verteidigt Oberst Klein seine Entscheidung als "rechtmäßig". 18. März: Im Untersuchungsausschuss weisen Schneiderhan und Wichert den Vorwurf zurück, Unterlagen seien unterschlagen worden. 19. April: Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Klein und den zuständigen Flugleitoffizier werden eingestellt. 22. April: Guttenberg räumt vor dem Untersuchungsausschuss Fehler bei der ersten Einschätzung der Aktion ein. 5. August: Nach monatelangen Verhandlungen gesteht das Verteidigungsministerium jeder betroffenen Familie knapp 3900 Euro Entschädigung zu. 19. August: Der Heeresinspekteur entscheidet nach viermonatiger Prüfung, dass er kein Disziplinarverfahren gegen Klein einleiten wird. dpa

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