Viel Lärm um Gerechtigkeit für Jung und Alt

Saarbrücken · Geht die Rentenpolitik der großen Koalition zu Lasten der Jungen? Redner von Union und SPD wiesen diesen Vorwurf ges tern weit von sich. Bei der Auftaktdebatte über das schwarz-rote Rentenpaket gestern im Bundestag war viel von „Generationengerechtigkeit“ die Rede.

Nur die Grünen erhoben lautstark Widerspruch. Dabei grummelt es auch unter jüngeren CDU-Politikern.

"Es ist nicht geschenkt, es ist verdient." Mit diesen Worten verteidigte Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) die Rentenreform gegen alle Kritik. Damit erkenne man die "Lebensleistung" der Menschen an. Tatsächlich handelt es sich um das teuerste Regierungsvorhaben in dieser Wahlperiode. Schon für dieses Jahr werden die Mehrkosten auf 4,4 Milliarden Euro veranschlagt. Bis zum Jahr 2020 summieren sich die zusätzlichen Ausgaben auf 60 Milliarden Euro. Davon entfallen allein 43 Milliarden Euro auf die Verbesserung der Renten von Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Die besonders umstrittene abschlagsfreie Rente mit 63 schlägt bis zum Ende des Jahrzehnts mit 12,5 Milliarden Euro zu Buche. Geradezu bescheiden sind die Mehraufwendungen dagegen für die Erwerbsminderungsrentner, deren Bezüge häufig unter dem Existenzminimum liegen. Für sie enthält das Rentenpaket bis 2020 gerade einmal drei Milliarden Euro zusätzlich.

Es gehe nicht um die Lebensleistung aller, sondern nur um die von manchen, warf Grünen-Fraktionschefin Katrin-Göring Eckardt der Ministerin deshalb vor. Gerechtigkeit gebe es nur für eine bestimmte Generation. Die Jüngeren "haben Sie vergessen", so Göring-Eckardt in Richtung Regierungsbank.

Tatsächlich ist die abschlagsfreie Rente mit 63 zeitlich befristet. Komplett davon profitieren nur jene, die vor dem 1. Januar 1953 geboren wurden, und deren Rente nach dem 1. Juli 2014 beginnt. Für alle später Geborenen steigt die Altersgrenze mit jedem Jahrgang um zwei Monate. Für die ab 1964 Geborenen liegt sie dann bei 65 Jahren, was einer bereits geltenden Regelung entspricht. Denn schon heute darf mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen, wer 45 Versicherungsjahre vorweisen kann. Die Jüngeren haben also praktisch nichts von dieser Maßnahme, sollen aber auch dafür kräftig zahlen. "Es muss einem angst und bange werden, was uns ab 2018 beim Beitragssatz droht", hielt der grüne Renten-Experte Markus Kurth den Regierungsfraktionen vor. Ausweislich des schwarz-roten Gesetzentwurfs wird der Beitrag im Jahr 2019 von 18,9 auf 19,7 Prozent springen. Wer 3000 Euro verdient, hätte dann monatlich zwölf Euro weniger in der Tasche. Ohne das Rentenpaket müsste der Beitrag nur auf 19,1 Prozent angehoben werden.

Nach der komplizierten Rentenformel ziehen die spürbar höheren Rentenausgaben obendrein ein niedrigeres Rentenniveau nach sich, was langfristig ebenfalls besonders zu Lasten der heute Jüngeren geht. "Sie dürfen das Wort Generationengerechtigkeit nicht mehr in den Mund nehmen, wenn Sie dieses Paket verabschieden", rief Kurth an die Adresse der großen Koalition.

Während Redner der Linken noch deutlich höhere Rentenleistungen einforderten, hielten sich die Skeptiker aus der Union auffallend bedeckt.

D er CDU-Politiker Carsten Linnemann (36) zum Beispiel saß schweigend auf der Hinterbank und verließ nach der Hälfte der Debatte den Saal. In den letzten Wochen hatte Linnemann die Rentenreform mehrfach öffentlich kritisiert und dabei von "erheblichen Lasten" für die "kommenden Generationen" gesprochen. Nur der Vize-Chef der Jungen Union, Benedict Pöttering, nahm gestern kein Blatt vor den Mund: "Im Prinzip werden diese Entscheidungen von einer Generation von Ministern getroffen, die alle über 40 sind. Wir als junge Menschen haben in der jetzigen Regierung keine Lobby mehr", klagte er in einem Interview. Pöttering sitzt nicht im Bundestag. Die Wirtschaftsjunioren Saarland wenden sich mit einer Kampagne gegen die Rente mit 63. Unter dem Motto "Uns reicht's! Ihr verschleudert unsere Zukunft!" fordern die Wirtschaftsjunioren eine generationengerechte Politik ein. Schon 2000 Postkarten hätten Wirtschaftsjunioren aus ganz Deutschland an Bundestags-Abgeordnete geschickt. "Für uns als junge Generation ist die Rentenreform ein Tritt vors Schienenbein", sagt Jörg Rupp, Vorsitzender der Wirtschaftsjunioren Saarland: "Sie dient den Interessen einzelner und dem Ziel, eine Partei aus dem Umfragetief zu holen. Aber sie dient nicht unse rem Land."

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Auf einen Blick Eckpunkte der Reform: Abschlagsfreie Rente ab 63: Wer mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll schon mit 63 Jahren ohne Abschlag in Rente gehen können. Phasen von Arbeitslosigkeit sollen mit angerechnet werden, ebenso Zeiten der Kindererziehung, der Pflege von Familienangehörigen oder Zeiten mit Bezug von Insolvenzgeld. Mütterrente: Etwa 9,5 Millionen Frauen, deren Kinder vor 1992 zur Welt kamen, sollen Kindererziehungszeiten in der Rente besser honoriert bekommen. Pro Kind ab 1. Juli 2014 im Westen brutto knapp 28 Euro monatlich mehr, im Osten 26 Euro. Erwerbsminderungsrente: Wer aus gesundheitlichen Gründen vermindert oder gar nicht mehr arbeiten kann, soll brutto bis zu 40 Euro mehr Rente bekommen. Die Betroffenen werden so gestellt, als ob sie mit ihrem früheren durchschnittlichen Einkommen bis 62 - und damit zwei Jahre länger als bisher - in die Rentenkasse eingezahlt hätten. Reha-Leistungen: Zur Vermeidung von Frühverrentungen sollen die bislang gedeckelten Mittel für Rehabilitationsleistungen dynamisiert werden. dpa

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