Viel Frust und ein fröhlicher neuer Chef

Bremen · Die Piraten haben die Schmach der Bundestagswahl noch nicht überwunden. Mit neuem Personal versuchen sie, wieder auf die Beine zu kommen. Aber wie soll der Niedergang gestoppt werden?

"Endlich frei" - zwei Worte twittert Bernd Schlömer, als sein Rückzug als Piratenchef auf dem Bremer Parteitag vollzogen ist. An die Mitglieder richtet er noch den Appell, seinen Nachfolgern einen "Vertrauensvorschuss" zu gewähren. Dürftiger Applaus, keine Blumen - mehr Dank gibt es nicht für den ehrenamtlichen Bundesvorstand.

Für die Piraten stehen nach der Schlappe bei der Bundestagswahl die Zeichen auf Anfang - oder Absturz. Auf Schlömers Nachfolger Thorsten Wirth wartet harte Arbeit. In den sieben Jahren seit ihrer Gründung hat die Piratenpartei unerwartete Höhenflüge erlebt. Doch nach zweistelligen Umfragewerten und dem Einzug in vier Landtage, auch im Saarland, folgte der Einbruch: Mit 2,2 Prozent verfehlten die Piraten den Sprung in den Bundestag klar.

In der Messehalle 7 ist die Enttäuschung über den Niedergang am Wochenende greifbar: Nur knapp 1000 Piraten bauen ihre Laptops auf, 2012 in Bochum kamen doppelt so viele. Nur wenige zeigen sich noch kostümiert mit Piratenhut. Die Stimmung ist nüchtern, gereizt. Heiter wird es nur, als zum Zeitvertreib der gelangweilten Mitglieder in einer der vielen Beratungspausen drollige Katzenvideos über die Leinwand laufen. Kinderkram.

Das erhoffte Signal zum Neuanfang durch die flotte Wahl einer neuen Spitze misslingt gründlich: Zum Aufwärmen streiten die Piraten wie gewohnt über Tagesordnung und Satzungsänderungen. Als mit dreistündiger Verspätung die Wahl des Vorsitzenden beginnt, treten mehrere offensichtlich ungeeignete Kandidaten ans Rednerpult. "In dieser Partei herrscht Krieg", ruft einer mit rudernden Armen. "Halt die Fresse", schallt es zurück.

Aufreibende Wahlkampforganisation, gegenseitige Beschimpfungen und beißende Basiskritik - nach dem, was in den vergangenen Monaten so über die Piraten-Spitze geschrieben wurde, scheint niemand mehr so recht Lust auf die Jobs zu haben. Weder die umtriebige Geschäftsführerin Katharina Nocun noch ihre prominente Vorgängerin Marina Weisband wollen sich den Parteijob noch leisten. Zu einer Bezahlung ihrer Vorstände kann sich die Partei - mit Ausnahme einer Unterstützung für Hartz-IV-Empfänger - erneut nicht durchringen. Der Frankfurter Software-Entwickler Thorsten Wirth soll es als neuer Chef nun richten. Er gehört wie der neue Generalsekretär Jörn Niklas Semrau aus Darmstadt zum einstigen Gründungskern - vielleicht ist es auch die Sorge um den völligen Niedergang ihrer Bewegung, die sie veranlasst, sich zur Wahl zu stellen. Mit Wirth als Chef, so deutet sich an, könnten es sich die Piraten erst einmal in einer Nische als Splitterpartei bequem machen. Die Partei müsse sich sortieren und sich auf ihre "Gründungsmythen" konzentrieren - wie den Kampf für ein freies Internet und gegen staatliche Überwachung. "Wenn unsere Inhalte stimmen, kommt der Erfolg irgendwann wieder", hofft der 45-Jährige.

Unklar bleibt, wie die neue Spitze die beschworene Mischung aus "Professionalität und Punkrock" erzeugen will, mit der sie künftig wieder punkten möchte. Denn schon die Wahlkampf-Aktionen gegen die NSA-Affäre hatten kaum Widerhall gefunden.

Auch die Basisdemokratie der Piraten gerät in Bremen erneut an ihre Grenzen: 1,5 Stunden brauchen die Helfer für die Auswertung der Stimmzettel der Vorsitzenden-Wahl. Tagesordnungsschlachten - das sei doch auch Teil der Piraten-Identität, sagt Wirth. "Da muss jetzt die Öffentlichkeit auch mal durch." Bleibt die Frage, ob die Öffentlichkeit das noch länger mit ansehen will.

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