SPD-Regionalkonferenzen Verunsicherte Genossen bangen um ihre Partei

Hannover · Die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles und der kommissarische Parteivorsitzende Olaf Scholz diskutierten am Wochenende mit der Basis über die Groko. Und hatten viel zu erklären.

 Im nordrhein-westfälischen Kamen musste die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles (oben in der Mitte) gestern einige Groko-kritische Genossen überzeugen.

Im nordrhein-westfälischen Kamen musste die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles (oben in der Mitte) gestern einige Groko-kritische Genossen überzeugen.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Drei rote Punkte hat jeder der rund 400 SPD-Genossen, die an diesem Samstagnachmittag zur „Dialogveranstaltung“ in die Niedersachsenhalle in Hannover gekommen sind. Die darf man am Eingang auf Plakate kleben, auf denen Fragen zum Koalitionsvertrag geschrieben sind. Die meisten Punkte finden sich bald bei der Frage, wie die SPD sich erneuern kann, wenn sie gleichzeitig regieren „muss“.

Die SPD veranstaltet ihre insgesamt sieben Regionalkonferenzen zur laufenden Urabstimmung im Stil eines Seminars der Erwachsenenbildung. Zum Vorschein kommt eine tief verunsicherte und gegenüber ihrer Führung höchst misstrauische Partei. Die Teilnehmer stehen zufällig zusammengewürfelt an Hochtischen, auf denen große Papiere und Filzer liegen. Jeweils einer der prominenten Verhandler, die aus Berlin dazugekommen sind, gesellt sich zu den Runden und redet möglichst wenig. Zuhören ist angesagt.

Was halbwegs Konsens ist an jedem Tisch, wird mit den Filzern aufgeschrieben: „Wie kann die SPD wieder glaubwürdig werden und nicht mehr Umfallerpartei sein?“ „Gibt es einen Punkt in dem Vertrag, für den ihr die Koalition auch mal platzen lasst?“ „Wie kann unsere Sprache wieder verständlicher werden?“ In Hannover, so der Eindruck, ist es eine achtbare Minderheit von vielleicht 30 Prozent, die bei der Urabstimmung mit Nein votieren wird. Morgens in Hamburg, bei der ersten Regionalkonferenz, sind es weniger. Aber das ist auch ein Heimspiel für Groko-Befürworter Scholz, der dort Bürgermeister ist.

Deutlich schwieriger ist das Pflaster in Nordrhein-Westfalen. Entsprechend viele kritische Stimmen von Groko-Gegnern gibt es am Sonntag bei der Regionalkonferenz in Kamen. Auch hier diskutieren 400 über Genossen über das Für und Wider einer großen Koalition. Nach der Veranstaltung ist die designierte neue Vorsitzende Andrea Nahles optimistisch, Mitglieder auf ihre Seite gezogen zu haben: „Ich glaube, dass viele jetzt mit ihrer Stimme anders umgehen.“

Nachmittags folgt dann die vierte Regionalkonferenz in Mainz mit 650 Parteimitgliedern aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Hier versucht auch die stellvertretende Parteichefin Malu Dreyer (SPD), den Genossen die Angst nehmen: „Das Hauptthema auch derjenigen, die die Entscheidung eher kritisch bewerten, ist die Angst, dass die SPD ihren Erneuerungsprozess, ihre Veränderung, hinten anstellt“, sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin. „Es liegt an uns gemeinsam, dass die SPD sich wirklich auf den Weg macht.“

Angst um die Partei haben auch in Hannover viele SPD-Mitglieder. An einem Tisch sagt eine ältere Frau: „Gestern hat einer gesagt, uns kann es auch so gehen wie den Sozialisten in Frankeich.“ „Wie?“, fragt ein anderer. „Na, weg, ganz weg.“ Nahles versucht den Blick auf die Verhandlungserfolge zu lenken. Die Rente, die Einschränkungen bei der sachgrundlosen Befristung, die Pflege. Niemand fragt in den Diskussionsrunden dazu nach. Und Olaf Scholz’ Satz, dass der Koalitionsvertrag laut Computeranalyse zu 70 Prozent mit dem SPD-Wahlprogramm übereinstimme, verpufft regelrecht. Besser kommt da schon Stefan Weil an, niedersächsischer Ministerpräsident. Ob die SPD Wahlen gewinne oder nicht, sagt er, hänge nicht von Koalitionen ab. Sondern auch vom eigenen Selbstvertrauen. Das habe man ja bei seiner erfolgreichen Landtagswahl im Oktober gesehen. Da klatschen sie.

Aber Niedersachsen ist nicht der Bund. Am Tisch, an dem Olaf Scholz mitdiskutiert, sagt der erste, schon wegen der AfD müsse es wieder klare Alternativen geben. Und der zweite, die Leute könnten die SPD nicht mehr von der CDU unterscheiden. „Die sagen, ist doch egal, was man wählt, kommt immer große Koalition.“ Eine Frau erklärt, dass „überhaupt nicht klar wird: Wo wollen wir eigentlich hin als Partei?“

Scholz und Nahles mühen sich, diese Bedenken zu zerstreuen, in dem sie immer wieder betonen, dass Regieren das eine und Profilieren das andere sei. Ja, sagt Nahles, sie wisse, dass die SPD zweimal aus großen Koalitionen schlecht herausgekommen sei, und die große Frage sei, ob es diesmal anders ausgehe. Davon, betont sie, sei sie überzeugt, „auch weil der Göttinnenglanz verblasst: Meine Güte, sie heißt Merkel und kommt aus Meck-Pomm!“