Verräter oder wertvoller Informant?

Brigitte Heinisch war jahrelang Altenpflegerin in einem Berliner Pflegeheim. Dort ließen ihr die katastrophalen Zustände keine Ruhe. Heimbewohner wurden ans Bett gefesselt, um sie ruhig zu stellen. Manche mussten stundenlang in ihrem eigenen Kot liegen, weil Personalmangel herrschte. Obendrein wurden die Pflegerinnen zum Abrechnungsbetrug genötigt

Brigitte Heinisch war jahrelang Altenpflegerin in einem Berliner Pflegeheim. Dort ließen ihr die katastrophalen Zustände keine Ruhe. Heimbewohner wurden ans Bett gefesselt, um sie ruhig zu stellen. Manche mussten stundenlang in ihrem eigenen Kot liegen, weil Personalmangel herrschte. Obendrein wurden die Pflegerinnen zum Abrechnungsbetrug genötigt. Vergeblich drängte Heinisch bei ihren Vorgesetzten, die Missstände abzustellen. Schließlich sah sie keinen anderen Ausweg mehr, als den Arbeitgeber zu verklagen. Daraufhin wurde ihr fristlos gekündigt. Begründung: Die Offenlegung der innerbetrieblichen Vorgänge schade dem Unternehmen.Brigitte Heinisch tat das, was man neudeutsch "Whistleblowing" nennt: Alarm schlagen, um Abhilfe zu schaffen. Und damit steht sie nicht allein. Ohne die Hinweise couragierter Zeitgenossen bliebe hierzulande millionenschwere Steuerhinterziehung im Dunkeln, wären Lebensmittelskandale nie aufgedeckt worden, hätte die Rinderseuche BSE keine öffentliche Debatte ausgelöst. Der Fall Heinisch zeigt aber auch, dass sich die Informanten in Deutschland auf sehr dünnem Eis bewegen. Es gibt keine speziellen Paragraphen für ihren Schutz. Maßgeblich sind die allgemeinen kündigungsrechtlichen Vorschriften und das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot im Bürgerlichen Gesetzbuch. Die Opposition im Bundestag forderte gestern deshalb in einer von der Linksfraktion initiierten Plenardebatte mehr Rechtssicherheit für die Betroffenen. Auch im Bundesrat ist "Whistleblowing" bereits zum Thema geworden. Anfang September hatte das Land Berlin einen Entschließungsantrag eingebracht, um "klare und eindeutige Regelungen im Bereich des Informantenschutzes" zu schaffen. Die Vorlage wird gegenwärtig in den zuständigen Ausschüssen der Länderkammer beraten.

Dabei gibt der Fall Heinisch den Kritikern Auftrieb. Die Frau hatte sich erfolglos durch alle juristischen Instanzen in Deutschland geklagt, um gegen ihre Kündigung vorzugehen. Schließlich bekam sie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht. Am 21. Juli 2011 urteilten die Richter, dass der Ruf des Pflegeheims nicht schwerer wiegen könne als die öffentliche Aufdeckung von Missständen.

Die Linken machen sich nun für ein Gesetz stark, mit dem Ziel, eine "positive kulturelle Einstellung und gesellschaftliche Anerkennung gegenüber Whistleblowern zu befördern und deren Tätigkeit von der Diffamierung als Denunziantentum zu befreien". Das allerdings ist leichter gesagt als getan, wie der spektakuläre Fall der Enthüllungsplattform Wikileaks zeigt. Die Website hatte 250 000 Botschaftsdepeschen der USA für jedermann zugänglich gemacht, was die Regierung in Washington als Gefahr für die nationale Sicherheit des Landes verurteilte. Obendrein waren auch noch die Namen der Informanten der US-Diplomanten veröffentlicht worden, weil Wikileaks die Kontrolle über den riesigen Datenbestand verloren hatte.

Redner der Koalition kritisierten in der Bundestagsdebatte, nach dem Antrag der Linken sei Wikileaks die "höchste Instanz", gäbe es eine "totale Haftungsfreistellung". Auch die Grünen meldeten Vorbehalte an. "Die Schwierigkeit liegt in der Abwägung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen", sagte die Rechtsexpertin der Fraktion, Ingrid Hönlinger, der SZ. Schließlich gebe es auch eine "Loyalität, die der Betrieb vom Mitarbeiter erwarten kann". Auch die SPD reagierte zurückhaltend. Sowohl SPD als auch Grüne wollen in Kürze eigene Gesetzentwürfe vorlegen.

Dagegen hält sich die Bundesregierung bedeckt und verweist auf eine Arbeitsgruppe der G-20-Staaten, die Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Whistleblowern ausarbeiten soll. Erst danach könne man beurteilen, ob überhaupt Handlungsbedarf bestehe, hieß es aus dem Arbeitsministerium. So wird es auch in naher Zukunft mutige Hinweisgeber wie Brigitte Heinisch brauchen, die interne Missstände öffentlich anprangern und dabei ihre materielle Existenz aufs Spiel setzen.

Meinung

Die Regierung muss handeln

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Es gehört sicher Überwindung dazu, seine Kollegen anzuprangern und den eigenen Betrieb oder die eigene Behörde öffentlich bloßzustellen. Aber mitunter gibt es keine andere Möglichkeit, um Missstände aufzudecken. Menschen, die das tun, haben einen besseren rechtlichen Schutz verdient. Dass es damit nicht weit her ist, zeigt der Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch. Am Ende belehrte ein europäisches Gericht die deutsche Rechtsprechung eines Besseren.

Höchste Zeit also für die Bundesregierung, zu handeln. Doch die will das Thema auf die lange Bank schieben. So drängt sich der Eindruck auf, dass das Vertuschen von unhaltbaren Zuständen höhere Wertschätzung genießt als die Bemühung um Aufklärung. Natürlich ist eine gesetzliche Lösung auch eine Gratwanderung. Für Denunzianten und Wichtigtuer darf sie kein Freibrief werden. Die Hände in den Schoß zu legen, ist jedoch klar der falsche Weg.

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