Vermeintlicher Gegenspieler des Papstes wird Kardinal

Vatikanstadt · Eigentlich war für Gerhard Ludwig Müller die Erhebung zum Kardinal absehbar. Er ist immerhin Glaubenspräfekt in Rom. Doch Berichte, der Vertraute von Papst Benedikt XVI. sei ein Franziskus-Gegner, hatten Zweifel geschürt.

Unter den neuen Kardinälen, deren baldige Ernennung Papst Franziskus gestern bekannt gab, ist auch ein Deutscher. Das ist zunächst wenig überraschend, denn bisher zählte der Leiter der vatikanischen Glaubenskongregation stets zu den Purpurträgern. Dennoch wurde mit Spannung erwartet, ob Erzbischof Gerhard Ludwig Müller in den exklusiven Kreis der künftigen Papstwähler aufgenommen würde. Vor wenigen Wochen hatten einige Medien in Müller noch den "hartnäckigsten Gegenspieler" des Papstes ausgemacht. Der Betroffene tat dies umgehend als Ausgeburt einer "schlechten Fantasie" ab. Gegen diese Sichtweise sprach zudem, dass Franziskus den 66-jährigen gebürtigen Mainzer als einen der ersten leitenden Kurien-Mitarbeiter im vergangenen September in dem Amt bestätigte, das ihm 2012 noch von Benedikt XVI. übergeben worden war.

Wie genau es zwischen dem Deutschen und dem Argentinier steht, ist damit nicht beantwortet. Ähnlich sind sich beide im Verzicht auf protzige Limousinen, Müller hat einen gebrauchten Ford. Vor allem zeigt sich eine innere Nähe in ihrer Haltung zur Befreiungstheologie. Diese aus der armen südamerikanischen Bevölkerung erwachsene Strömung mit linken Positionen bis hin zu marxistischen Tendenzen wurde in der katholischen Kirche lange mit Argwohn beobachtet. Doch im September leitete Franziskus einen Meinungswandel ein und empfing den geistigen Vater der Befreiungstheologie, den Peruaner Gustavo Gutiérrez. Gutiérrez und Müller sind seit langem eng befreundet.

Der an Silvester 1947 in Mainz geborene Arbeitersohn hat großes Renommee als Theologe. Unter seinen inzwischen über 400 wissenschaftlichen Veröffentlichungen gilt seine 1995 erschienene, "Katholische Dogmatik" als wichtigstes Werk. Er orientiert sich in seinen Schriften streng an der Theologie und nicht an gesellschaftlichen Fragestellungen. Das Amt des Glaubenshüters ist für ihn vor allem das des Bewahrers alter Traditionen und nicht das eines nach Antworten auf zeitgenössische Fragen Suchenden. Ganz so hatte auch Benedikt, damals noch als Kardinal Joseph Ratzinger, als Glaubenspräfekt seine Aufgabe verstanden.

Doch Müller scheut sich trotz seines gebildeten Geistes nicht vor scharfen Worten. So nannte er vor einem Jahr die in Europa verbreitete Kritik an der Kirche eine "Pogromstimmung" - der NS-Vergleich sorgte für Empörung. In der Debatte um den für seinen protzigen Bischofssitz kritisierten Limburger Franz-Peter Tebartz-van Elst verteidigte Müller diesen als einer der wenigen offensiv und sprach von einer Medienkampagne. Unpopulär ist auch Müllers Haltung zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Während Papst Franziskus für diese "Barmherzigkeit" forderte und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, in seinem Bistum Wege für eine Zulassung der Betroffenen zur Kommunion eröffnete, lehnt Müller dies als ausgeschlossen ab.

Doch was unter Benedikt schwer vorstellbar war, ereignete sich unter Franziskus: Müller bekam Widerworte, der Münchner Kardinal Reinhard Marx beschied ihm etwa, er könne die Debatte nicht einfach abwürgen. Im Oktober will der Papst das Problem diskutieren lassen. Das Ergebnis wird zeigen, ob Müller mit seiner Ernennung zum Kardinal auch an Einfluss gewonnen hat - oder ob Franziskus sich weiter mehr am Menschen als an der Theologie orientiert.

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